Seit fast drei Wochen sind wir nun wieder in Mexiko – und bisher hat das Land alles gegeben, um uns den Start angenehm zu machen. Bewusst haben wir für die ersten Wochen Orte ausgewählt, die wir bereits kennen: Mexiko Stadt, Oaxaca, den Campingplatz „Don Taco“ am Pazifik, auf dem wir die Besitzer Frans und Anneke letztes Jahr für ein paar Tage vertreten haben, während sie auf Reisen waren. Vertraute Orte, das war meine Antwort auf eher gemischte Gefühle vor der Rückkehr. Ein Teil von mir war mehr als bereit, wieder auf Reisen zu gehen, wieder in den Bond zu ziehen und Neues zu erkunden. Die lange Reisepause hat die Entdeckerfreude zurück gebracht, wieder Platz in Kopf und Herz für neue Erlebnisse geschaffen. Aber ein anderer Teil in mir hat sich gesträubt, zurück in die fremde Kultur zu gehen. Ins Unverständliche. Ungewisse. Unsichere. Manchmal Ungemütliche. Nach zehn Monaten mit schnurglatten Autobahnen, gemäßigten Temperaturen, kultureller und sprachlicher Zugehörigkeit, Supermärkten mit gigantischer Auswahl und Ordnungshütern, deren Vertrauenswürdigkeit über jeden Zweifel erhaben ist, tut sich dieser Teil von mir schwer, die Komfortzone wieder zu verlassen. Wieder einzutauchen in die Hitze, die schlechten Straßen mit Schlaglöchern und Topes (so heißen die mexikanischen Bremshügel, die alle paar hundert Meter quer über die Straße verlaufen und eine Herausforderung für die Federung des Bond, das Innenleben unserer Schränke und meine Nerven sind), die Polizeikontrollen und bewaffneten Check-Points, von denen man nie so genau weiß, ob sie echt sind oder ob da jemand in Pseudo-Uniform versucht, ein paar Pesos zu ertricksen. Auch wenn wir bisher wenig tatsächliche Interaktion damit hatten: Ihre Allgegenwart hinterlässt immer ein unsicheres Gefühl bei uns und wir atmen jedes mal erleichtert aus, wenn wir unbehelligt an ihnen vorbei gefahren sind.
Aber die Bedenkenträgerin in mir wurde – zumindest in den ersten drei Wochen – einfach ge-love-bombed von Mexiko. Von einer Charme-Offensive überrollt, überschüttet mit guten Erfahrungen, freundlichen Begegnungen und einem reibungslosen Reiseverlauf, der uns schon bei der An- und Einreise fast ein bisschen ungläubig macht. Irgendwas passiert ja eigentlich immer, wenn man einen Langstreckenflug vor sich hat und an seinem Ziel-Flughafen durch einen Immigration-Prozess muss, der darüber entscheidet, ob und wie lange man ins Land darf. Aber dieses Mal? Läuft alles einfach wie am Schnürchen. Drei Mal stehen wir vor unendlich langen Schlangen – zwei Mal am Flughafen von Madrid bei der Ausreise, einmal in Mexiko Stadt bei der Einreise. Drei Mal winkt uns nach einer Minute ein freundlicher Mensch an der Schlange vorbei, weil wir das richtige Flugticket bzw. den richtigen Reisepass haben und daher nicht warten müssen. Der Einreisebeamte an der mexikanischen Immigration sieht aus wie ein 15 Jahre jüngerer Meister Eder und schäkert mit der jungen Familie, die vor uns am Schalter steht. Und auch als wir dran sind, bleibt das gemütliche Lächeln in seinem Gesicht und in den Fältchen rund um seine Augen und er stempelt uns die höchstmögliche Aufenthaltsdauer von 180 Tagen in den Pass.
Für fünf Tage haben wir uns eine Unterkunft im Stadtteil Coyoacán gebucht: In dem beinahe europäisch anmutenden Künstlerviertel mit den bunt gestrichenen Häusern und dem riesigen alten Baumbestand, in dem einst Frida Kahlo und Diego Rivera lebten, wollen wir den Jetlag aussitzen. Wir lassen es ruhig angehen, schlendern durch die Straßen, machen immer wieder Pausen in einem der vielen netten Cafés. Schauen uns ein kleines volkskundliches Museum und die „Casa Azul“, das Wohnhaus und Atelier von Frida Kahlo, an. Essen jeden Abend in einem anderen kleinen Restaurant. Bleiben einfach in dem Viertel, obwohl um uns herum die riesige Stadt mit ihrem kulturellen Reichtum lockt. Aber uns genügt für den Anfang das kleine, bunte Stück Coyoacán.
Dann geht es mit einem Inlandsflug weiter nach Oaxaca – und auch dort spontan noch einmal für zwei Tage in ein Hotel: Nico kämpft schon in Coyoacán mit einer fiesen Erkältung und wir wollen ihm noch etwas Ruhe in einem großen, kühlen Zimmer gönnen, bevor wir wieder in den Bond einziehen. Kranksein im Bus ist nicht schön – erst recht nicht, wenn der gerade zehn Monate eingelagert war und wir den Wohnzustand erst wieder herstellen müssen. Das Zimmer gibt uns die Gelegenheit, die Stadt in aller Ruhe zu erkunden – der Campground „El Rancho“, auf dem wir schon im vergangenen Jahr ziemlich viel Zeit verbracht haben, liegt außerhalb von Oaxaca, und so müssen wir uns nicht mit dem Bond durch die engen Straßen der Altstadt quetschen, uns nicht um einen sicheren Parkplatz kümmern und können uns jederzeit ins Hotel zurückziehen, wenn es uns zu heiß wird oder wir müde sind. Wir fühlen uns wie im Urlaub: Oaxaca hat gefühlt auf jedem zweiten Haus eine Dachterrasse mit Bar, Sonnensegeln und Licherketten, die andere Hälfte der Restaurants liegt in schattigen grünen Innenhöfen mit plätschernden Springbrunnen. Alles so einladend, dass wir nicht immer widerstehen können. Außerdem gibt es noch ein weiteres Juwel in dieser Stadt: „Boulenc“, eine Bäckerei mit fantastischem Brot und schwerem, süßen Gebäck, Pilgerstätte für alle europäischen Reisenden – wir sind im Himmel!
Und dann – der Bond. Mit einer rötlichen Staubschicht bedeckt wartet er unter dem Blechdach des Storage auf uns. Wir öffnen die Türen, nichts riecht muffig, kein Schimmel, alles genau so, wie wir es vor zehn Monaten zurückgelassen haben. Der Motor springt beim ersten Drehen des Zündschlüssels an und schnurrt wie ein Kätzchen: Álvaro hat bestens für unser kleines rollendes Zuhause gesorgt. Wir tuckern zum größten Supermarkt von Oaxaca und stocken unsere Vorräte wieder auf, dann weiter zum Campground. Und dann liege ich flach. Verbringe die nächsten drei Tage mit Erkältung, Durchfall und Magenkrämpfen auf der Couch im Bond, räume in den wachen Momenten unsere Kleidung und alles, was wir in unseren Rucksäcken aus Europa mitgebracht haben, zurück in die Schränke und überlasse ansonsten Nico den Alltagskram. Ein fettes Gewitter am zweiten Abend nimmt uns die Entscheidung ab, wie und wo wir den Bus von seiner Staubschicht befreien. Und nette neue Nachbarn aus Deutschland und den Niederlanden sorgen dafür, dass wir wieder anknüpfen an die Overlander-Community. Geschichten hören von Reisen durch Afrika und Zentralasien, teilhaben an Erfahrungen, die unseren weit voraus sind.
Nach einer Woche brechen wir auf Richtung Pazifik: Dieses Mal nicht über die Straße mit den 2.000 Kurven, die wir im vergangenen Jahr vier Mal gefahren sind, sondern über die neue Schnellstrecke. Landschaftlich nicht halb so reizvoll, aber statt acht Stunden benötigen wir nur fünfeinhalb bis zu „Don Taco“. Und hier sind wir nun. Die Tage fließen ineinander, wir schwimmen, chillen, arbeiten, essen und quatschen und fühlen uns wie zuhause. Wollten eigentlich Ostern Richtung Chiapas weiterreisen, aber Frans hat uns gewarnt, dass in der Semana Santa, der Osterwoche, auf den Straßen die Hölle los sein wird. Alle Mexikaner fahren zu ihren Familien oder an den Strand, es fließt Alkohol in rauen Mengen, was das aus unserer Perspektive ohnehin schon halsbrecherische Fahrverhalten vermutlich nicht gerade entspannter macht. Wer hier als langsameres Fahrzeug nicht umgehend auf den Standstreifen ausweicht, wird von den Schnelleren gnadenlos angehupt – oder auf eben diesem Standstreifen rechts überholt. Kurve? Bergkuppe? Egal, überholen geht immer, selbst bei komplett fehlender Einsicht in die Gegenspur. Das in Kombination mit Osterreiseverkehr – brauchen wir nicht. Wir stecken die Füße in den Sand und bleiben, wo wir sind.