Es ist kurz nach sechs Uhr morgens und noch stockfinster draußen. Seit einer halben Stunde werfe ich mich im Bett hin und her. Dann gebe ich auf und krieche zwischen den Laken hervor. Ich höre Nico oben in der Küche rumoren – er kann auch nicht mehr schlafen. Sechs Uhr ist sowas von gar nicht unsere Zeit normalerweise, und meine Augen brennen vor Müdigkeit. Aber etwas in mir drin ist zu aufgeregt um weiter zu schlafen. Verrückt eigentlich – wir sind schon so oft aufgebrochen. Warum macht mich das gerade heute so zappelig? Den ganzen Tag haben wir gestern am Bus herumgetüdelt. Jedes Teil, das wir besitzen, sorgfältig verstaut, für manches neue Plätze gefunden, wieder ein paar Dinge rausgeworfen, die wir eigentlich nie brauchen. Eine von vier großen Wasserflaschen, einen Kleiderkorb, den Eierpiekser. Und dabei versucht uns vorzustellen, wie es sein wird, wieder im Bus zu wohnen. Nacht acht Wochen in vier Wänden gar nicht so einfach.
Vorgestern waren wir wandern. In der Langadiotissa-Schlucht, auf deren Eingang ich seit vier Wochen ein Dutzend mal am Tag durchs Fenster vor meinem Schreibtisch oder vom Balkon aus schaue. Die Tour habe ich in den ersten Tagen hier in Mystras herausgesucht, aber die gleiche Gesetzmäßigkeit, die dafür sorgt, dass man die Sehenswürdigkeiten der Stadt, in der man lebt, immer nur dann besucht, wenn man Gäste von auswärts hat, ist offenbar auch der Grund dafür, dass wir erst am vorletzten Tag losmarschieren. Von der Haustüre aus durch die Olivenfelder bis ins kleine Mystras, dann noch einen Ort weiter und hinein in die Schlucht. Wild rauscht das Wasser des Flusses, der sie gegraben hat, erst neben, dann unter uns, je höher wir gehen. Die Sonne bricht immer wieder hinter düsteren Wolkenhaufen hervor und beleuchtet die Nordwand der Schlucht, wir gehen in einem Wechsel aus Licht und Schatten auf der Südseite. Kommen vorbei an einer Freiluft-Kapelle, die in eine halboffene Höhle in der Flanke der Schlucht hineingebaut ist und deren bunte Altarbilder und vergoldete Leuchter einen unwirklichen Kontrast zum dunklen Fels bilden. Bücken uns unter überhängendem Gestein. Und obwohl diese Schlucht viel kleiner ist als der Gorge du Verdon in Südfrankreich oder die Gola di Gorropu auf Sardinien, versetzen mich ihre Vorsprünge, Knubbel und Zacken, die ungleichmäßige Linie der Schlucht, das Farbspiel des Gesteins von Gelb über Ocker bis Schwarz in Entzücken. Ihr Fels ist von niedrigem Buschwerk bewachsen, an den Rändern kleine Laubbäume. Alle paar Meter bleiben wir stehen und machen Fotos oder bewundern den Ausblick zwischen den beiden mächtigen Felsen hindurch, die am Eingang der Schlucht thronen wie Wächter, zurück über die Ebene von Sparta und bis hin zum Parnos-Gebirge. Kurz vor dem sende der Schlucht müssen wir den Fluss queren: Der ist durch das Unwetter am Vortrag aber so stark angeschwollen, dass wir keine Chance sehen, trockenen Fußes hinüber zu gelangen. Also Stiefel aus und mit nackten Füßen über die glitschigen Steine durch das eiskalte, reißende Wasser. Wir schaffen es tatsächlich, ohne hineinzufallen (das ist aber der Moment, in dem Nico bei mir für die Anschaffung eines Notfall-GPS wirbt). Nach dreieinhalb Stunden stehen wir wieder vor unserer Haustür (auf dem Rückweg haben wir noch ein paar Orangen von einem herrenlosen Baum geklaut, da wir unsere beiden Orangenbäume im Garten fast abgeerntet haben. Vier Wochen lang jeden Morgen ein Glas frischt gepressten Orangensaft – da bleiben nur noch die Früchte im Baum, an die selbst Nico nicht mehr drankommt.) und ich bin froh, dass wir den Verlockungen der Villa für eine Weile widerstanden und uns auf den Weg gemacht haben.
Inzwischen ist die Sonne aufgegangen – Mama, das war um 7.44 Uhr! Meine Mama fragte mich neulich, wann es bei uns abends dunkel wird und wann morgens hell – die zweite Frage konnte ich ihr tatsächlich nicht beantworten, da sich unser Rhythmus hier total verschoben hat, wir oft erst weit nach Mitternacht ins Bett gegangen sind und selten vor halb zehn wieder aufgestanden. Erst heute sehe ich die Sonne zum ersten Mal hinter dem Parnos-Gebirge aufgehen, die Vorboten aus weißem Licht bringen den Dunst über der Ebene zum Schimmern, bevor der Himmel hinter den sich scharf davor abzeichnenden Silhouetten der Bäume sich golden verfärbt. Ich stehe in der eiskalten Morgenluft auf dem Balkon in meinen kurzen Schlaf-Shorts, Daunenjacke an und Mütze auf, an den Füßen Nicos Schuhe, weil ich da schneller reinschlüpfen konnte, und versuche, das Spiel aus Licht und Farben im Bild festzuhalten. Gelingt nur mittelprächtig- aber ich habe es ja mit eigenen Augen gesehen. Frühaufstehen hat definitiv seine schönen Seiten. Jetzt einen zweiten Kaffee, den Rest unserer Habseligkeiten im Bus verstauen – und dann los. Auf ins nächste Kapitel des großen Abenteuers.
Herzlichen Dank für den schönen Bericht und super schönen Fotos.
Wir wünschen Euch eine gute Fahrt ins Abenteuerland.
In Gedanken sind wir bei Euch und drücken fest die Daumen, passt gut auf Euch auf