Der Kabinenboden unter meinen Füßen zittert, die Armlehnen des Sitzes vibrieren leicht. Das Dröhnen der Maschinen schwillt an – und dann, mit einem Ruck, der mich tief in den Sitz presst, hebt das Flugzeug ab. Schraubt sich langsam hoch und höher Richtung Wolkendecke. Der Frankfurter Flughafen unter uns wird immer kleiner, der Himmel über uns immer größer – wir sind auf dem Weg nach New York. New York! Ich sitze still da und versuche, die Watte aus meinem Kopf zu vertreiben. Amerika. Mein Sehnsuchtsland. Seit Kindertagen schon und, auch nach einem Jahr Studium und mehreren Reisen dort, immer noch. Wie oft habe ich in den letzten Monaten leicht hochgezogene Augenbrauen geerntet. „Amerika? Echt? Da wollte Ihr hin? Aber die Amis sind doch ………. (auf der gepunkteten Linie einfach alle möglichen negativen Klischees eintragen, die Euch einfallen), das Land reizt mich ja überhaupt nicht!“ Mir egal, ich will da weder einwandern noch betrachte ich diese Reise als politisches Statement. Ich folge meinem Traum. Meiner Sehnsucht nach der grandiosen Natur des Colorado Plateaus und des Pazifischen Nordwestens mit ihren einzigartigen Nationalparks. Ich habe die USA als wunderbares Reiseland mit hilfsbereiten Menschen kennengelernt und auch in meinem Jahr als Studentin 1996 von der gerne bemäkelten Oberflächlichkeit nichts zu spüren bekommen. Stattdessen habe ich so viel Freundlichkeit erlebt wie in meinem eigenen Land nur selten – und freue mich einfach nur wie Bolle, nun wieder und endlich mit richtig viel Zeit in den USA zu reisen. Ich bin gespannt, was sich verändert hat seit meinem letzten Besuch vor zehn Jahren (unsere Stippvisite in Las Vegas 2019 zähle ich jetzt einfach mal nicht mit) und ob und wie ich den immer größer werdenden Riss durch die amerikanische Gesellschaft wahrnehme, der spätestens seit der Präsidentschaft von Donald Trump in den Medien immer wieder beschrieben wird.
Jetzt sitze ich aber erstmal einfach nur da und versuche zu begreifen, dass es tatsächlich losgeht. Wie lange haben wir auf diesen Tag gewartet? In den letzten zwei Jahren, als wir mit Mr. Norris durch Europa getingelt sind, weil unser Plan, ihn im April 2020 über den Atlantik zu verschiffen, sang- und klanglos der Pandemie zum Opfer gefallen ist. Aber auch in den letzten Monaten, nachdem wir uns Hals über Kopf entschieden haben, noch mal ein größeres Fahrzeug auszubauen. Ein Vorhaben, das uns an den Rand dessen geführt hat, was wir leisten können. Dessen Umsetzung mit all ihren Herausforderungen und Rückschlägen wir trotz Vorerfahrung und konservativer Planung heillos unterschätzt haben. Das planerisch und handwerklich alles von uns gefordert hat. Und mit dessen Ergebnis wir glücklicher nicht sein könnten. So sehr hat der Ausbau des Sprinters über Monate jeden Gedanken und alles Handeln dominiert, dass ich mir erst vor drei Wochen überhaupt zum ersten Mal Gedanken über eine mögliche Reiseroute und eine Auswahl von Orten, die wir in den USA und im Westen Kanadas sehen wollen, gemacht habe. Seitdem – seit ich angefangen habe, auf Karten herumzugucken, mir Webseiten von Nationalparks anzusehen und mir auszumalen, wie ich auf dem Half Dome stehe, am Rande des Grand Canyons, vor den Steinbögen im Arches National Park oder dem Sonnenuntergang im Monument Valley – kommt mir allmählich ins Bewusstsein, dass unser großes Abenteuer jetzt und wirklich beginnt. Und gleichzeitig erscheint mir das nach all der Zeit des Wartens irgendwie nicht real. Nico geht es anders, sagt er. Für ihn hat unser Abenteuer begonnen, als wir im September 2020 unsere Schreibtische geräumt und uns auf den Weg Richtung Süden gemacht haben. Für mich – so sehr ich unsere ungeplante Reise durch Europa mit all ihren besonderen Erlebnissen und wertvollen Lektionen geschätzt habe – war das Ziel immer Amerika. Nord und Süd. Ein riesiger Kontinent, von dem ich fast noch nichts kenne und der mich mit den Verheißungen seiner Andersartigkeit lockt. Seiner schieren Weite. Seiner mir unbekannten Natur. Kulinarischen Genüssen, die es zu entdecken gilt. Und der seit wir im Flugzeug sitzen zum Greifen nah ist.
Hinter uns liegt – mal wieder – eine Zeit des Abschiednehmens. Das haben wir allerdings inzwischen so oft getan, dass sich meine Gefühle dabei verändert haben. Intensiv habe ich die Monate bei meiner Schwester und ihrer Familie genossen, die gemeinsame Zeit mit meinem Bruder auf dem Campingplatz, die Umarmungen der Freunde in Köln und anderswo, die letzten Tage bei meinen Eltern, die von Liebe, Frühlingssonne und dem Fliederduft in ihrem Garten durchströmt waren. Wehmütig zwar – aber vor allem dankbar. Haben wir doch in den letzten zwei Jahren gelernt, dass die Zeit bis zum Wiedersehen so viel schneller verfliegt, als es uns beim Abschied erscheint. Mein Kopf sagt mir zwar, dass wir da auch nie so weit weg waren, wie wir es jetzt sein werden. Aber mein Herz spürt gerade nur Freude – über das, was wir zuhause haben und das, was wir ab jetzt entdecken werden.
Erste Station: New York City! Und dann gibt’s auch endlich wieder richtige Geschichten und nicht nur erschöpfte Notizen. Schöne Bilder und nicht nur Ausbau- oder sonstige Schnappschüsse. Hoffentlich ganz viele tolle Erlebnisse – und mit Sicherheit ganz viele unvorhergesehene Planänderungen. Aber darin haben wir ja inzwischen Übung.