Jedenfalls fast. Auf den letzten Höhenmetern hat Zeus dann offenbar doch kein Interesse mehr an unserem Besuch, lässt Nebel aufwallen und Donner grollen – und zwingt uns etwa eineinhalb Stunden bevor wir den Gipfel des Olymp erreichen zur Umkehr. Bis dahin lief es eigentlich ganz gut mit unserem Spontan-Plan, den höchsten Berg Griechenlands zu besteigen. Quasi als letzte Amtshandlung, bevor wir das Land, das nun mehr als sieben Monate lang unser Zuhause war, Richtung Bulgarien verlassen.
Der Wecker klingelt um fünf, auf der 40-minütigen Fahrt vom Meer hinauf nach Prionia zum Trail-Einstieg sehen wir den zweiten Sonnenaufgang unserer gesamten Reise (den ersten haben wir im Januar in Mystras erlebt, wenn auch eher unfreiwillig...). Nein, wir sind keine Frühaufsteher. Schultern unsere Rucksäcke, noch etwas schlaftrunken, und machen uns an den Aufstieg. 1.800 Höhenmeter sind es von Prionia bis auf den Gipfel Skolio, der auf 2.911 Metern liegt. Wir wollen sie an einem Tag hinauf und wieder hinab gehen (auch wenn uns unsere Campingplatz-Besitzerin für verrückt erklärt). Der Skolio ist einer der vier Gipfel des Olymp. Für den Mytikas, mit 2.918 Metern der höchste, fühlen wir uns nicht alpin-erfahren genug, die Kletterpartie trauen wir uns ohne unsere Bergwander-Profis Hanna und Linda nicht zu. Skala und Skolio, die beiden Gipfel, die wir für heute im Visier haben, sind anstrengend aber technisch nicht so anspruchsvoll – das hat uns auch Monica aus dem Outdoor-Laden unten in Litochorio am Fuße des Olymp bestätigt, die jeden Wanderwilligen mit Ausrüstung und hilfreichen Informationen versorgt. „Ab mittags soll es regnen und eventuell gewittern da oben, fragt an der Berghütte auf halber Strecke Maria, die lebt da schon ihr ganzes Leben lang dort, die kennt sich aus“, hat sie uns am Vortag geraten, als ich bei ihr einen Sonnenhut für den langen Aufstieg kaufe. Ich werde ihn nicht brauchen, wie sich später herausstellt.
Durch lauschigen Blätterwald – die Vegetation hier im Norden Griechenlands erinnert uns eher an die Alpen als an die knorrigen Bäume und das robuste Gestrüpp des südlichen Peloponnes‘ und Kretas – geht es zunächst auf erdigen, dann auf steinigen Pfaden stets bergauf. Die frühe Morgensonne blitzt durch das von der Nacht noch feuchte Blattwerk und lässt es hellgrün leuchten. Die erste halbe Stunde meldet der Kopf noch im Minutentakt „Uff, anstrengend“, dann groovt der Körper sich ein und wir trotten stoisch immer weiter bergan. Bestaunen die sich bietenden Ausblicke zwischen den Felswänden des olympischem Bwegmassivs hindurch Richtung Meer, das nur ein paar Kilometer entfernt in der Sonne glitzert. Hören Geläut und denken sofort an Ziegen. Von oben entgegen kommt uns einige Zeit später jedoch ein wettergegerbter Mann mit drei Mulis am Zügel, deren Glocken am Geschirr fröhlich klingeln: Nach wie vor die einzige Art, Marias Berghütte auf 2.100 Metern mit allem zu beliefern, was sie benötigt. Ob er die Strecke jeden Tag geht?, frage ich mich, während ich schnaufend weiter bergan steige. Ich komme mir etwa overdressed vor in Wanderhose und Funktionshemd – der Mann trug Jeans und Poloshirt.
Nach zweieinhalb Stunden kommen wir im „Katafugio A“, Marias Berghütte, an. Inzwischen haben sich Wolkenbänder um die Gipfel und Grate des Olymp geschlungen, die Luft ist abgekühlt, die Sonne nur noch selten zu sehen. Maria wiegt den Kopf von einer Seite zur anderen und schaut noch einmal in ihren Rechner: „Für 12 Uhr sind Regen und Gewitter angesagt. Das kann auch erst um 13 Uhr kommen – aber mit etwas Pech auch schon um 11 Uhr. In den Bergen weiß man nie genau, vor zwei Tagen hat es hier geschneit“. Unvorstellbar, wir hatten unten in Litochorio gestern 28 Grad! Es ist 9.30 Uhr, wenn wir bis hier zweieinhalb Stunden gebraucht haben, schätzt Maria bis zum Skolio weitere zweieinhalb Stunden. Wenn die Beine müde werden, auch drei. Das könnte eine Punktlandung werden. Wir packen die Stöcke aus den Rucksäcken – die ersten 1.000 Höhenmeter haben wir geschafft, die nächsten 800 werden noch steiler. Nach etwa einer halben Stunde plötzlich ein Donnergrollen. Nico bleibt ruckartig stehen – mit Gewitter in den Bergen ist nicht zu spaßen. Fünf Minuten verharren wir ganz still und lauschen angestrengt in die diesige Luft. Es bleibt still. Wir beschließen, noch ein wenig weiter zu gehen und die Lage zu beobachten. Nach weiteren zwanzig Minuten, auf etwa 2.300 Metern kurz vor der Baumgrenze, treffen wir Wanderer, die von oben kommen. Zwei Engländer und einen griechischen Trailrunner, der die Strecke zum Gipfel im Laufschritt bewältigen wollte. Die Engländer waren bereits oben, viel sehen werdet ihr nicht, sagen sie, alles liegt im Nebel. Nebel umgibt auch uns inzwischen, den Weg vor uns können wir noch gut erkennen, aber alles ein Meter rechts und links davon ist in weiße Schleier gehüllt. Der Trailrunner beschließt, den Gipfel heute nicht mehr zu erklimmen. Für uns als wenig erfahrene Alpinisten ebenfalls das Zeichen zum Abbruch: Wenn selbst dieser hartgesottene Bergläufer dem Wetter nicht traut, dann sollten wir es erst recht nicht tun.
Schwer enttäuscht machen wir uns an den Abstieg. Wie zur Bestätigung unserer Entscheidung fängt es an, wie aus Kübeln zu gießen. Wir haben zwar leichte Regenbekleidung dabei, Dauerregen würde die aber ohnehin nicht standhalten. Auch ohne Gewitter wäre der Gang zum Gipfel daher ausgesprochen ungemütlich geworden. Zweieinhalb Stunden lang trotten wir die ganze Strecke, die wir erst vor kurzer Zeit tapfer erklommen haben, wieder zurück Richtung Auto. Ich hadere mit Zeus und der Welt, so gerne hätte ich zum Abschluss unserer Griechenlandreise dort oben gestanden und meinen Blick über dieses schöne Land schweifen lassen. Von oben hören wir wiederholt Donnergrollen – und sind trotz aller Enttäuschung froh, dass wir jetzt nicht da oben, jenseits aller schützenden Bäume, stehen und Zeus‘ zornigen Wettern ausgesetzt sind. Und das Bier am Ende der Tour schmeckt auch ohne Gipfelerfolg wohlverdient und köstlich!
Schon eine sehr geniale Landschaft dort. Hätte ich mir so nicht vorgestellt!
Nach so vielen Monaten im Süden Griechenlands waren wir auch überrascht, dass es im Norden eher alpin ist und wir mal wieder hohe, dichte Laubbäume sehen. Es ist wirklich wunderschön dort!