Ich halte das Stück Plastik zwischen meinen Fingern, und plötzlich überrollt mich eine Welle puren Glücks, die ich nicht habe kommen sehen. Ich blicke auf, durch die Windschutzscheibe zu den schneebedeckten Gipfeln der Rocky Mountains und etwas Schweres gleitet von meinen Schultern. Ich fühle mich, als hätte ich sehr lange die Luft angehalten und könnte nun endlich ausatmen. DAS hier ist der Grund, aus dem ich losgefahren bin. Aus dem ich diese Reise unbedingt machen wollte. Die grandiose Natur des amerikanischen Westens, von der ich hier gerade das erste Kronjuwel erblicke. Und das Stück Plastik in meiner Hand ist die Eintrittskarte dazu: „America the Beautiful“, der Jahrespass für die amerikanischen Nationalparks. Bis zu diesem Moment, wo mich die Welle überrollt, war mir nicht bewusst, wie existenziell dieser Wunsch, dieses Bild von uns in den Nationalparks für mich war. All die wunderbaren Erlebnisse, die wir in den vergangenen beiden Jahren auf Reisen gesammelt haben, waren nur die Vorbereitung auf das, was jetzt und in diesem Moment endlich beginnt: MEINE Reise. Ich blinzle ein paar Tränchen fort, die Rangerin, die uns das Ticket verkauft hat, winkt uns weiter, vorbei am Schlagbaum – und wir sind drin. In unserem ersten Nationalpark. Und in meinem Traum.
Colorado hat uns bereits gestern mit fantastischen Farben empfangen. Tagelang begleiten uns zuvor friesisch-flaches, saftiges Weideland und frische Grüntöne. Je weiter westlich wir in Nebraska kommen, desto staubiger und gelblicher wird das Grün – und als wir die Grenze zu Colorado überqueren, verändert sich die Landschaft völlig. Trockener Boden und von struppigem, gelben Gras bewachsene Hügel werden von einem weiten Himmel überspannt, an dem sich Gewitterwolken und Sonnenfetzen eine wilde Verfolgungsjagd liefern. Heute dann, auf der Fahrt weiter westwärts, wird das Land wieder grüner, und wie ein zartes Band aus Wolkenfetzen taucht am dunstigen Horizont die gewaltige Bergkette der Südlichen Rocky Mountains auf. Mehr als 50 Gipfel liegen hier über 4.000 m, ihre Spitzen tragen noch die Schneekronen des vergangenen Winters. Aus irgendeinem Grund, den ich mir selbst nicht erklären kann, hatte ich die Rockies eigentlich gar nicht als Ziel im Visir. Ich war so fokussiert auf die Canyonlands, dass ich das gigantische Gebirge auf dem Weg dorthin einfach übersehen habe. Erst, als wir in Nebraska einen Pausetag einlegen und ich meine Karten und Wanderführer wälze, bemerke ich meinen Fauxpas und wir planen um.
Und was für ein Einstieg in mein persönliches „America the Beautiful“ uns in den Rockies erwartet! Wir entscheiden uns für den populären Bear Lake Trail, eine eher kurze Wanderung, die aber an Schönheit schwer zu überbieten ist. Bereits der Eingang in den Nationalpark liegt auf 2.500 m, der Parkplatz am Trailhead auf fast 2.900 m. Der Weg führt vom Bear Lake über den Nymph Lake und den Dream Lake bis hoch zum Emerald Lake auf 3.090 m – unser erster 3.000er, ohne dass wir überhaupt auf einem Gipfel wären. In der strahlenden Spätnachmittagssonne marschieren wir bergan, unter duftenden Nadelbäumen und zartgrün-beblätterten Espen. Vorbei am ersten See, der friedlich in der Sonne döst. Immer wieder tun sich Ausblicke über ein bewaldetes Tal und aus die gegenüberliegenden Berge auf. An den Wegesrändern immer öfter Altschnee. Ein Streifenhörnchen posiert auf einem Stein für unsere Kamera, im lichten Gebüsch unterhalb des Weges liegt ein Wapiti und mampft Knospen. Am Ufer des langgezogenen Dream Lake entlang geht es immer höher hinauf, über zertrampelte Schneefelder und matschiger werdende Wege. Bis wir schließlich am Emerald Lake ankommen – auf dem noch dicke Eisschollen treiben. Die Sonne ist schon hinter den Gipfeln verschwunden und das Licht oben am See bläulich. Wie aus einer anderen Welt. Magisch. Als wir uns satt gesehen haben, nehmen wir den selben Weg zurück – und begegnen zwei weiteren Wapitis mit einem Jungen, so nah, dass wir fast danach greifen können. Drei Stunden Naturerlebnis de luxe, Herz, was willst Du mehr?
Und weil es so unglaublich schön ist hier, hängen wir einfach noch einen Tag dran. Waschen im hübschen Städtchen Estes Park – touristischer Ausgangspunkt für Park-Besuche vom Nord-Osten aus – Wäsche in einem Waschsalon mit Ausblick in die Berge, trödeln durch einen Outdoor-Laden und ein Souveniergschäft, essen Lunch und schauen, wann immer wir die Köpfe heben, auf die schneebedeckten Gipfel der Rockies. Steigen dann am Nachmittag noch mal in den Bus und fahren die Trail Ridge Road entlang durch den Norden des Parks: Bis auf 3.700 m geht die Panoramaroute, die Höhe macht meinen Magen flau und meinen Kopf schwindelig. Aber die Ausblicke sind es sowas von wert!
P.S.: Der gesamte Bundesstaat Colorado liegt übrigens im Schnitt höher als 2.000 Meter über dem Meer. Die Ecke um Estes Park, in der wir unterwegs waren, eher 2.500 Meter. Schon abgefahren, dass man die ganze Zeit so hoch ist und das eigentlich kaum wahrnimnt. Bei uns in den Alpen wäre man am Parkplatz zum Bear Lake Trail schon fast auf dem Gipfel der Zugspitze, höhenmäßig gesehen…
Hallo ihr Zwei,
das sind ja mal wieder Ausdruckstarke Fotos.
Schön beschrieben wie es dir ergangen ist und welche Gefühle du dort hattest, liebe Brit.
Dann habt weiterhin eine schöne Abenteuerzeit für weitere Berichte.
LG Monika