Wie ein fliegender Walfisch gleitet der Airbus A350 über England hinweg Richtung Atlantik, das weiße Rauschen der Kabinen-Belüftung und der wenige Schlaf der letzten Nacht sorgen für ein leicht benommenes, wattiges Gefühl in meinem Kopf. Meine Augen sind müde – aber mein Herz bis an den Rand gefüllt nach drei Wochen zuhause. In Deutschland, bei meiner Familie. Ich habe den 80. Geburtstag meines Papas für einen Überraschungsbesuch genutzt – und mir damit auch selbst ein großes Geschenk gemacht. Den Preis, den wir für unsere Reise, unsere große Freiheit zahlen, mal für drei Wochen ausgesetzt: den Preis, weit weg von unseren Lieben zu sein. Darin bin ich nicht wirklich gut, habe ich festgestellt. Dass wir uns mit dieser Reise einen Traum erfüllen. Dass wir für eine Weile, für ein paar Jahre, wer weiß schon so genau, für wie lange in ein Leben schlüpfen, das weit weg ist von unserem bisherigen Alltag, das ist ein riesiges Privileg. Aber es kostet, wie alles im Leben, einen Preis – und der erscheint mir heute höher als er mir noch vor zehn oder zwanzig Jahren vorgekommen wäre. So ganz ohne Kontakt zum Mutterschiff komme ich da nicht durch – also muss der Geburtstag meines an Geburtstagen herzlich uninteressierten Papas als Anlass für einen Heimflug herhalten. Allein sein Gesichtsausdruck als er mir nichts ahnend die Tür öffnet waren die 9.000 Flugkilometer wert!
Jetzt, nach drei Wochen zusammen sitzen und quatschen, Hunde streicheln, Papa Geschichten von früher entlocken, von Mama mit lauter Lieblingsessen bekocht werden, durch den nebelkalten deutschen November spazieren, den ersten Glühwein trinken, den Weihnachtsbazar meiner wunderbaren Patentochter besuchen und die Reithalle mit meinen anderen wunderbaren Patentochter, beim Schwager im Hof an der Feuertonne sitzen und auf die Scheune schauen, in der wir dreieinhalb Monate lang den Bond ausgebaut haben, mit meiner besten Freundin in der Küche hocken und die großen und kleinen Dinge des Lebens beleuchten, meinen Neffen nach seiner bestandenen Motorradführerscheinprüfung vor lauter Aufregung fast zerdrücken, bei meiner Schwester am Kaminofen zur Ruhe kommen, mit meinem Bruder Fußball gucken und neue Träume spinnen – nach drei Wochen Familienzeit ist mein Akku wieder voll. Der andere Akku. Der Reise- und Entdecker-Akku steht seit einem halben Jahr bei 100 % – dem hat die Pause nicht geschadet. Aber auf einem Akku kann man offenbar nicht stehen. Nun ist alles wieder im Gleichgewicht.
Und während der Airbus mich weiter über den Atlantik und quer über einen ganzen Kontinent bis an den Pazifik trägt, freue ich mich aufs Geschichten Austauschen mit Nico. Der unseren Bus gehütet hat, seitdem ich vor drei Wochen in Las Vegas ins Flugzeug gestiegen bin. Durch die Wüste von Nevada und Kalifornien vagabundiert ist, unsere Technik optimiert hat, Zeug programmiert, YouTube leergeguckt und was der Mann halt sonst noch so macht, wenn mal kein Eheweib wilde Tagespläne schmiedet. Ich hoffe, auch sein anderer Akku ist nun wieder voll. Denn ich habe da noch so ein, zwei, drei Ausflugsziele auf dem Zettel, bevor wir über Weihnachten und Neujahr in Oakland eine French Bulldog namens Frank hüten und gleich danach aus den USA ausreisen – weiter gen Süden, weiter nach Mexiko!