Eigentlich wollte ich diesen Beitrag mit dem Titel „Stadt im Nebel“ überschreiben. Denn das war das, was San Francisco uns eine Woche lang geboten hat. Wie unter einem dicken Federbett lagen die Bay und die wunderschöne Golden Gate Bridge beinahe während unseres gesamten Aufenthalts in weißgrauen Nebelschwaden verborgen. Die feuchte Luft wurde selbst tagsüber nicht wärmer als 15 oder 16 Grad. Und nachts haben uns die Nebelhörner der ein- und ausfahrenden Schiffe mit ihrem melancholischen Klang in den Schlaf getutet. Aber dann ist mir aufgefallen, dass uns San Francisco noch etwas anderes geboten hat als eine Pause vom heißen südkalifornischen Sommer. Nämlich Alltag. Und das, obwohl wir gar nicht geplant hatten, so viel Zeit hier zu verbringen. Großstadt und Leben im Bus, das ging in unserer Vorstellung nicht wirklich zusammen, zumal wir dringend ein paar Tage zum Arbeiten an unsere Rechner mussten. Wie soll das gehen ohne geschützten und vor allem legalen Stellplatz inmitten einer summenden, brummenden Millionen-Metropole? Nun, es geht verdammt gut. San Francisco überrascht uns mit einer perfekten Lösung, die wir – wie viele andere Stellplätze auch – über die App iOverlander finden. Und die uns als Krönung einen Dauer-Ausblick auf die Golden Gate Bridge gewährt. Tagsüber stehen wir mit dem Bus am Crissy Beach unterhalb des ruhigen und grünen Stadtteils „Presidio“ am südlichen Brückenkopf und arbeiten. Der Parkplatz ist großzügig angelegt und kostet nichts, wir stehen abseits des Verkehrslärms und doch mitten drin. Spaziergänger mit Hunden und Familien mit Kindern nutzen den breiten Strand zum Spielen. Auf dem geschotterten Weg zwischen Parkplatz und Strand radeln zahllose Touristen auf ihren Mieträdern Richtung Brücke und auch einige zähe Typen in bunten Trikots auf schnittigen Rennrädern. Halb San Francisco hat offenbar seine Joggingstrecke an den Crissy Beach verlegt. Und auf den Wellen der Bucht tummeln sich Surfer aller Art. Jedes mal, wenn ich von meinem Bildschirm hochschaue, sehe ich jemanden mit Segel oder Kite-Schirm und Brett unter dem Arm über den Strand Richtung Wasser streben. Besonders faszinieren uns die „Foilboards“: Sie sehen aus wie Surfbretter mit einem schmalen Mast mit Flügeln an der Unterseite. Mit dieser Technik, die unter Wasser denselben dynamischen Auftrieb erzeugt wie die Tragfläche eines Flugzeugs, hebt sich das Brett beim Surfen über die Wasseroberfläche. Es sieht also aus, als würde der Surfer in der Luft über dem Wasser schweben – sehr cool!
Abends klappen wir die Laptops zu und fahren über die Golden Gate Bridge zu einem Aussichtspunkt auf Höhe des nördlichen Brückenkopfs – der zugleich als offizieller Rastplatz konzipiert ist, Übernachten ausdrücklich erlaubt. Was eigentlich als Durchreise geplant war, wird durch die Kombination dieser beiden Plätze zu einem knapp einwöchigen Arbeits-Aufenthalt. Nico und ich waren beide schon auf früheren Reisen in San Francisco, deswegen verspüren wir kein großes Bedürfnis auf klassisches Sightseeing. Dafür genießen wir es umso mehr, in dieser schönen und entspannten Stadt eine ikonische Kulisse für so etwas wie einen Alltag zu haben. Einfach nur hier zu sein und uns als Teil der Stadt zu fühlen. An einem Abend machen wir einen ausgedehnten Spaziergang durch den Nebel, entlang der Marina, zum Fort Mason und weiter zur Fishermans Wharf. Auf dem Rückweg schlendern wir ein paar Blocks oberhalb des Hinwegs durch Wohnviertel, die die hereinbrechende Dunkelheit und die dunstige Luft in schwermütige Stille hüllen. Bizarr und bezaubernd. An einem anderen Abend gehen wir in die California Academy of Science im Golden Gate Park: Jeden Donnerstag verwandelt sich das hochkarätige Naturkundemuseum nach 18 Uhr in eine gechillte Party-Zone mit gedämpftem Licht, durch die ein kunterbuntes Publikum mit Drinks in der Hand zu den Beats eines DJs zwischen Aquarium, Planetarium, Regenwald-Biosphäre und begrüntem Dach hin und her schlendert, um die Arbeit der Akademie zu bewundern. Wir schlendern mit und fühlen uns, als würden wir dazugehören.
Und jetzt kommt der Moment, wo ich das Hohelied auf Commander Bond singe. Leute, Ihr habt Euch ein Jahr lang unser Gehadere mit der Größe von Mr. Norris, unsere Klagen über Lockdown auf 3,5 Quadratmetern, unser Kopfzerbrechen, ob wir auf ein größeres Fahrzeug umsteigen sollen und schließlich unseren Entschluss, genau das zu tun, angehört. Mir meine spärlichen Lebenszeichen während der Planungs- und Ausbauzeit nachgesehen. Jetzt bekommt Ihr auch endlich mal eine Rückmeldung, ob sich das alles gelohnt hat. Kurz gesagt: JA! Jaaaaaa! Nico und ich feiern jeden Tag, dass wir diesen Schritt gegangen sind! Sowas wie San Francisco wäre in Mr. Norris einfach nicht möglich gewesen. So viele andere Stellplätze, die wir bisher unterwegs angesteuert haben, ebenfalls nicht. Truckstops, Parkplätze, Schotterflächen rechts und links der Straße mit wenig Privatsphäre, Nächte nahe Nationalparks mit munterer Bären-Population oder miesen Moskitos – all das ist im Bond kein Problem. Wir sitzen gemütlich drinnen (und zwar RICHTIG gemütlich), sind geschützt vor Blicken, Wetter und Getier und haben genug Platz, um uns nicht bei jedem Handgriff gegenseitig im Weg zu stehen. Genau, stehen können wir nämlich auch! Während der Fahrt hat uns die Klimaanlage im Cockpit schon vor dem einen oder anderen Hitzschlag bewahrt (für die Nächte sind wir inzwischen stolze Besitzer drei verschiedener Ventilatoren, in einer mühseligen Bastelaktion in der Wüste hat Nico außerdem unserem Kühlschrank bessere Belüftung verschafft, weil dem bei mehr als 30 Grad immer zu warm wurde. Selbst unser mobiler Hotspot besitzt mittlerweile seinen eigenen kleinen CPU-Kühler – Hitze können wir allmählich!). Mit unserem Stauraum sind wir mehr als zufrieden, nach ein paar mal Hin- und Herräumen haben die meisten Dinge den Platz gefunden, an dem wir sie bestmöglich im Zugriff haben. Und unsere Strom- und Wasserinstallationen haben wir in den Mr. Norris-Jahren so perfektioniert, dass wir sie nur ein wenig leistungsstärker gemacht haben und jetzt im Bond noch besser versorgt sind als vorher. Ich hasse Geschirrspülen zwar mit der selben Inbrunst wie immer, aber fließendes Wasser und ein Spülbecken im Bus machen die lästige Pflicht nicht mehr ganz so lästig (die Alternative – Kochen – wäre außerdem ungleich schlimmer, Nico und ich haben aus guten Gründen den Deal, dass er kocht und ich spüle…) So gut gefällt es uns im Bus, dass wir darüber beinahe zu Stubenhockern werden: Wenn wir freistehen, kommt es im Moment eher selten vor, dass wir draußen Tisch und Stühle aufbauen.
Auf jeden Fall können wir nach sieben Wochen im Bus das Fazit ziehen, dass das Reisen im Sprinter einfacher und komfortabler ist als im L300. Dazu leistet allerdings auch unser Reiseland einen ordentlichen Beitrag: Die Infrastruktur in den USA ist für das mobile Leben wie geschaffen. Eine Gesellschaft, der hohe Mobilität quasi in den Genen liegt, sorgt für Allverfügbarkeit von Tankstellen, Schnellrestaurants, Waschsalons, Motels und Supermärkten, die 24 Stunden am Tag geöffnet sind. Zudem gehört für sehr viele Amerikaner zum Familienleben oder zur gemeinsamen Zeit mit Freunden Campen einfach dazu. Entsprechend reichhaltig ist die Auswahl an allem, was das Leben daußen schöner macht, selbst in kleinen Läden.
Das einzige, womit wir uns noch nicht recht anfreunden konnten, ist die Campingplatz-Kultur. Plätze sind reichlich vorhanden, gerade die nahe der Nationalparks haben allerdings oft nur wenige Plätze und sind jetzt in den Sommermonaten längst ausgebucht. Neulich im Big Sur hatten wir Glück und konnten abends noch spontan einen Platz ergattern (überhaupt haben wir jetzt schon mehrfach die Erfahrung gemacht, dass sich eine Nachfrage auf jeden Fall lohnt, auch wenn etwas offiziell nicht mehr buchbar ist. Das Backcountry-Permit für den Kings Canyon, Entry Permits für bestimmte Tageszeiten im Rocky Mountain und im Arches Nationalpark, der Stellplatz in Big Sur, der Eintritt ins Planetarium – immer haben wir kurzfristig noch was bekommen). Wir lieben diese Plätze, sie sind mit 20 bis 35 Dollar die Nacht nicht so teuer und sehr spartanisch ausgestattet (kein fließend Wasser, manchmal gar kein Wasser, und nur Dixie-Klos), aber da wir ja mit Ausnahme einer Toilette alles selbst an Bord haben, tauschen wir diese Annehmlichkeiten gern gegen die großzügigen Parzellen inmitten oft berauschend schöner Natur. Wenn wir denn einen Platz ergattern können.
Die Alternative sind RV-Resorts. Seelen- und oft schattenlose Flächen, auf denen die riesigen Wohnmobile dicht an dicht geparkt stehen. Direkt daneben brummende Generatoren, die in den RVs Klimaanlage, Fernseher, Backofen, Waschmaschine und Trockner mit Strom versorgen (kein Witz! In den ganz großen Fahrzeugen ist sowas tatsächlich verbaut!) Draußen sitzen tut hier kaum jemand, warum auch, da ist es nicht schön und drinnen sowieso alles, was man braucht. Die fehlende Atmosphäre hält die Betreiber dieser Stellplätze allerdings nicht davon ab, zwischen 60 und 130 Dollar die Nacht zu verlangen – wir haben noch keinen Grund gefunden, auf einem solchen Platz zu übernachten. Einen etwas attraktiveren Mittelweg bietet die Kette KOA: Meist recht hübsche Plätze, die am ehesten dem entsprechen, was Nico und ich aus Europa kennen. Fast immer als Familien-Urlaubsort angelegt, mit Spielplatz, Swimmingpool und Waschsalon – preislich ab 70 Dollar aufwärts und damit für uns ein Luxus, den wir uns bisher verkniffen haben. Da tut es dann auch mal ein Bezahl-Parkplatz, wie in Sausalito, einem zauberhaften Vorort von San Francisco, in dem wir auf der Durchreise von einem Mann mit Hund angesprochen werden, der unseren Bus bewundert. Das kommt lustigerweise ziemlich oft vor – unsere Sorge, mit Mr. Norris auch einen gewissen „Niedlichkeitsfaktor“ zu verlieren, der Passanten im Zweifelsfall eher für uns einnimmt, als uns gleich als lästige Vanlifer zu kategorisieren, ist im Land der Doppelhaushälften-großen Wohnmobile völlig unbegründet. Beim Verabschieden erzählte der Mann uns, dass es im Sommer immer freitags kostenlose Konzerte an der Marina von Sausalito gibt. Es ist Sommer, es ist Freitag – also gehen wir spontan hin. Mit unserer Picknickdecke unter dem Arm (die wir ja jetzt endlich besitzen) und einer Flasche Wein im Rucksack. Und mischen uns unter die Sausalitans, die mit Kind und Kegel dicht an dicht auf dem Rasen vor der kleinen Bühne sitzen, essen, trinken und die Bluesmusik und den Sommerabend genießen. Den Bus bewegen wir an dem Abend nicht mehr von seinem Bezahl-Parkplatz weg. Ziehen erst am nächsten Morgen ein paar Meter weiter zum Beachvolleyball-Feld um (wo Parken nachts nicht erlaubt aber tagsüber kostenfrei ist) und schauen mit unserem Kaffee in der Hand ein paar Jungs beim Spielen zu, bevor wir weiterfahren.
Zum Glück hatten wir bisher selten ein ernsthaftes Problem, einen Platz für die Nacht zu finden – auch wenn es in sehr touristischen Gegenden oder z.B. am Highway 1, wo auf der einen Seite die Steilküste direkt in den Pazifik stürzt und auf der anderen dicht bewachsene Berghänge bis an den Asphalt heranreichen, manchmal keine legalen oder realen Möglichkeit zum Overnight-Parking gibt. An manchen Tagen schimpfe ich über die viele Zeit, die ich brauche, bis ich endlich einen passenden Platz gefunden habe, den wir ansteuern können. An anderen haben wir gleich mehrere zur Auswahl, die einfach so am Wegesrand auf uns warten. Reisealltag ist für uns oft Alltag ohne Routinen – unsere Routinen bestehen eher darin, uns an unbekannten Orten Anlaufstellen zu suchen, an denen wir uns zurechtfinden. So stocken wir z.B. unsere Vorräte fast immer bei Walmart oder Safeway auf, da wir da inzwischen die Sortimente kennen und nur noch eine Stunde zum Einkaufen brauchen, nicht mehr einen halben Tag, wie am Anfang. Zum Arbeiten gehen wir manchmal zu Starbucks, weil da das Internet gut ist und an jedem zweiten Tisch jemand mit Laptop sitzt – niemand guckt komisch, auch wenn man stundenlang bleibt und nur einen Kaffee bestellt. Für die Wäsche gibt es in jedem größeren Ort einen Münz-Waschsalon. Und wenn wir mal etwas reparieren oder basteln müssen, geht das zur Not auch auf dem Parkplatz der Baumarkt-Kette Home Depot. Auf so einem, etwa 100 Kilometer nördlich von San Francisco, stehen wir seit zwei Tagen und Nico baut einen dritten Sitz für unseren Bus (im August kommt Linda zu Besuch, und die muss ja während der Fahrt auch irgendwo sitzen). Abends schlafen wir auf einem kleinen, baumbestandenen Parkplatz neben dem örtlichen Fußballfeld, ruhig gelegen und mit öffentlichen Toiletten und Picknicktischen – könnte schlechter sein, unser Alltag.
San Francisco – in dem Namen schwingt schon Sehnsucht mit!
Seit Kindertagen ein Traumziel, denn „Die Straßen von San Francisco“ mit Karl Maldon und Michael Douglas haben mich in den 70er Jahren fasziniert. Die bergigen Straßen mit ihren nostalgischen Straßenbahnen, aber vor allem die Golden Gate Bridge aus dem Vorspann der Serie hatten es mir angetan. Auch wenn „Cisco“ Euch wohl gerade mehr an „The Fog…“ erinnert hat.
Die Party im Museum hat mich gedanklich nach New York zurückversetzt; da hattet Ihr doch auch ein ähnliches Event, meine ich mich zu erinnern; mit Cocktail in der Hand an den Kunstwerken entlang. Tolle Idee!
Und das Open Air Konzert – einfach klasse; wie auch das Baseball Spiel, von dem Du kürzlich berichtetest.
So nah an den Menschen, am „echten“ way of life!
Freue mich auf die Fortsetzung…
Ja, San Francisco ist definitiv ein Traumziel. Die Stadt ist selbst für amerikanische Verhältnisse etwas Besonderes, die Lage, die Bauweise, die vielen bunten und hübschen Häuser, die vergleichsweise ruhigen Straßen und der entspannte Lifestyle. Außerdem wird in der Stadt seit den 80er Jahren viel Wert auf Umweltschutz und nachhaltiges Leben gelegt, dass hat uns besonders angesprochen. Und solche Events wie das in dem Museum lieben wir einfach. Die Amerikaner haben irgendwie ein Händchen dafür, Kultur und Wissenschaft nicht auf steife Weise zu vermitteln, sondern sie zu einem vergnüglichen Erlebnis zu machen. Sie holen sie aus dem Elfenbeinturm heraus mitten ins Alltagsleben.