Wir schlängeln uns zwischen parkenden Autos und Gegenverkehr durch schmale Gassen am Rande von Heraklion und versuchen, das kleine schwarze Mopped vor uns nicht aus den Augen zu verlieren. Auf dem Moped sitzt Manos, etwa mein Alter, braungebrannt, bunt verspiegelte Sonnenbrille. In der letzten halben Stunde haben wir mit Mr. Norris auf dem Seitenstreifen vor einer Werkstatt gestanden. Um uns herum infernalischer Krach: Autos rasen vorbei, aus der Werkstatt dröhnt ein Kompressor, in der Garage nebenan klopft und hämmert es. Vier griechische Mechaniker stehen um uns herum und diskutieren ausgiebig den Zustand der Dieselleitungen und -Anschlüsse unseres Busses. Manos, der eigentlich selbst nur als Kunde vor der Werkstatt gewartet hat, ist der einzige, der Englisch spricht und hat sich sofort als Übersetzer verdingt. Als klar ist, dass wir für unser Problem mal wieder einen Dieselspezialisten benötigen, hängt er sich ans Handy und kontaktiert den Profi seines Vertrauens. Schwingt sich dann auf das Zweirad eines der Mechaniker und sagt „Folgt mir. Selbst, wenn ich euch den Weg beschreibe, findet ihr das nie.“ Nötig geworden ist der erneute Ausflug in eine Werkstatt, weil Mr. Norris tropft. Immer mal wieder finden wir unter seinem Bauch eine Dieselpfütze. Außerdem ist er in der vergangenen Woche ein paar mal morgens nur unter Protest und nach mehreren Versuchen angesprungen. Luft in der Dieselleitung, lautet Nicos Diagnose für letzteres Problem. Die kann man eigentlich mit einer Handpumpe aus dem System drücken, die im L300 extra zu diesem Zweck verbaut ist. Zumindest in der Theorie: Denn auch nach einer Stunde pumpen konnten wir das Problem letzte Woche selber nicht beheben. Bereits Freitag haben wir drei verschiedene Werkstätten angefahren, jede hat einen Teil des Problems identifizieren können, uns damit dann an den nächsten Spezialisten verwiesen. Aber wie überall auf der Welt konnten wir am Freitagnachmittag niemanden mehr finden, der das direkt repariert.
Deswegen haben wir uns am Wochenende erst einmal den schönen Dingen des Lebens zugewandt: Seit Samstag haben wir Besuch von Hanna und Florian aus Köln. Fürs Wochenende hatten wir ein kleines Apartment in Heraklion gemietet und uns durch die Stadt treiben lassen. Tavernenbesuch und einen Abstecher auf die Kneipenstraße der Stadt genossen, waren ansonsten allerdings wenig angetan von Kretas Hauptstadt. Laut, eng, hektisch und auch vom Stadtbild in unseren Augen nicht sehr reizvoll. Sind daher gestern zum Palast von Knossos zehn Autominuten außerhalb von Heraklion gefahren. Deutlich stiller – und deutlich beeindruckender. Und die erste archeologische Stätte, die wir nicht in Eigenregie erkunden: Unser Freund Markus, der hier vor Jahren schon einmal war, hatte uns dringend ans Herz gelegt, uns einen Führer für die dreieinhalbtausend Jahre alte Palastanlage zu nehmen. Von Maria lernen wir viel über die minoische Kultur, die älteste Hochkultur Europas, die zwischen 1900 und 1400 v. Chr. auf Kreta blühte. Eine friedliche Kultur, die statt Waffen wunderschöne Amphoren und kultische Gegenstände aus Bronze und Kupfer herstellte. Im Palast gibt es einen Abwassersystem sowie Tonrohre, mit denen die Minoer Frischwasser aus den etwa zehn Kilometer entfernten Bergen direkt in den Palast leiteten. Geschickt gebaute Doppeltüren sorgten im Sommer für einen Klimaanlagen-Effekt, im Winter dafür, dass die Wärme in den Räumen blieb. Was für eine Ingenieurskunst! Natürlich sieht man nicht mehr allzu viel davon, wenn man heute durch die Ruinen des Palastes geht. An manchen Stellen hat der britische Archäologie-Fan Sir Arthur Evans, der die Ausgrabung von Knossos vor über 100 Jahren angestoßen und finanziert hat, Portale und Säulen aus Beton rekonstruieren lassen. Eine unglückliche Materialwahl, die der damaligen Zeit geschuldet ist, wie uns Maria erklärt. Trotzdem sorgen diese rekonstruierten Bereiche dafür, dass man sich noch lebhafter vorstellen kann, wie es hier vor vielen tausend Jahren zugegangen sein muss. Der Palast war nicht nur der Sitz der königlichen Familie, er war auch Handelszentrum und religiöser Mittelpunkt der Region. Die Minoer pflegten per Schiff Kontakte zum griechischen Festland, nach Ägypten und sogar nach Spanien. Von dort brachten sie Gold und Silber mit im Austausch für Kupfer, Olivenöl, Wein und andere Schätze Kretas. In Knossos wurde der Mythologie nach auch der Minotaurus geboren und in einem vom Architekten und Künstler Daedalos entworfenen Labyrinth gefangen gehalten. Nico und ich haben vor einiger Zeit den Roman „Ich bin Circe“ von Madeline Miller als Hörbuch gehört, in dem auch dieser Teil des Mythologie eine Rolle spielt und in dem wir gedanklich bereits für mehrere Kapitel zusammen mit der Göttin Circe durch den mit Leben gefüllten Palast von Knossos gewandelt sind – wir sind große Fans des exzellent recherchierten und großartig gelesenen Romans, falls jemand noch auf der Suche nach einem guten Sommer-Schmöker sein sollte… und es hat Spaß gemacht, sich den Schauplatz der Geschichte „in echt“ anzusehen.
Jetzt sitzen wir auf einer riesigen Couch im hinteren Bereich der Werkstatt des Dieselspezialisten, der über unserem Motor hängt und einige undichte Dichtungen an der Dieseleinspritzung und am Dieselrücklauf tauscht. Offenbar haben sie die in der Werkstatt von Stella vor zwei Wochen in Kalamata nicht sauber eingebaut. Auch die Handpumpe erweist sich als defekt, das ist aber wohl eher Altersschwäche. Nach einer Stunde ist Mr. Norris wieder fit – und wir sind dankbar, dass wir das ungute Gefühl der letzten Woche und die Unsicherheit, ob wir nach drei Versuchen am Freitag heute die richtige Werkstatt finden würden, die uns helfen kann, nun abschütteln können. Wir brausen los Richtung Berge: Für die nächsten fünf Tage haben wir uns in ein Häuschen im Hinterland von Heraklion einquartiert, und ich bin heilfroh, den Krach der Stadt hinter mir lassen zu können. Bis Samstag Linda und Felix zu uns stoßen, werden wir aus der Ferne über die Stadt hinweg auf Hügel und Meer schauen, und meine Seele atmet schon nach ein paar Minuten auf der stillen Dachterasse tief durch. Vogelzwitschern, zwei Ziegen mähen im Duett, ein Hahn kräht. Dieses Kreta gefällt mir besser.
Herzlichen Dank für die Aufklärung liebe Brit. Super das alles so gut geklappt hat und ihr Euch auf Eure Freunde freuen könnt. Schönen Pfingsmontag vom Wisseler See Monika und Werner