Der vierte Finger

Die letzten sechs Tage haben sich angefühlt wie Urlaub. Dabei versprüht der Start nach fast sechs Wochen bei Theo in Nafplio erstmal wenig Ferienlaune: Bei ebenso ausdauerndem wie ergiebigem Landregen, der meiner norddeutschen Heimat alle Ehre machen würde, brechen wir am Samstag spätnachmittags bei Theo auf und schlagen unser erstes Nachtlager schon wenige Kilometer weiter an einem langen Stand etwas südlich von Tolo auf. Erstmal wieder an der Rhythmus im Bus gewöhnen. Und weil wir es so gar nicht eilig haben, bleiben wir gleich noch einen weiteren Tag und genießen die Sonne, die sich nach dem einen Regentag sofort wieder ans Werk macht und dafür sorgt, dass wir uns wie Strandurlauber fühlen. Was für ein Unterschied zu den Monaten davor! Wir können uns wirklich nicht über den Winter in Griechenland beklagen: Im Vergleich zu Deutschland hatten wir es mild und angenehm. Trotzdem. Als ich Montagmorgen im Bikini auf einem Handtuch am Strand sitze und meinen Kaffee trinke, kann ich nicht glauben, dass sich außer dem Wetter nichts geändert hat. Immer noch der selbe Bus, das selbe Land, die selbe Kaffeetasse. Aber alles fühlt sich anders an. Als wir uns in den Bus setzen und losfahren, über schmale kurvige Landstraßen, durch Hügel mit niedrigem Buschwerk und nie weiter als ein paar Biegungen vom nächsten Blick aufs Meer entfernt, da habe ich tatsächlich den Eindruck, im Urlaub zu sein. Es ist still, es ist heiß, von draußen duftet es nach Piniennadeln, warmem Staub und Salz. Eine Schildkröte spaziert in aller Seelenruhe auf dem Seitenstreifen entlang. Grillen zirpen, ein gelber Schmetterling mit orangefarbenen und grünen Tupfen schwebt zwischen den Blüten am Straßenrand umher. Wir fahren ein Stündchen durch die kaum bewohnte Landschaft des vierten Fingers des Peloponnes und suchen uns dann in einer felsigen kleinen Sackgasse unterhalb der schmalen Straße direkt am Wasser einen Platz für die Nacht. Wir haben das Eckchen ganz für uns alleine, keine Menschenseele verirrt sich hierher, und die wenigen Autos, die wir auf der Straße vorbeirumpeln hören, können wir an einer Hand abzählen. Die Sonne verschwindet erst nach acht Uhr abends im Meer – im Februar war sie um fünf Uhr weg und unser Tag einfach mal drei Stunden kürzer als jetzt. Bis zum Schlafengehen sitzen wir in unseren Campingstühlen vor dem Bus und hören Hörbuch, Nico hat Popcorn auf dem Kocher gemacht – Accoustic Movie Night.


Als ich am nächsten Morgen von einem kurzen Gang hinter den Busch zum Lager zurückkomme, liegt der gesamte Inhalt des Busses davor und Nico steckt mit hochrotem Kopf in meinem Kleiderfach – das ich mir seit neuestem ja mit dem Warmwassserboiler teile. „Ein Schlauch ist abgesprungen“, flucht er. Vor meinem inneren Auge sehe ich eine sprudelnde Fontäne und wringe gedanklich bereits jedes einzelne meiner Kleidungsstücke aus – aber Nico war schnell und so hält sich der Wasserschaden zum Glück in Grenzen. Zweifelnd schaut mein Mann auf das Schlauchende – hat er die Schlauchschelle nicht fest genug angezogen? Vielleicht. Zur Sicherheit fixiert er die Verbindung dieses Mal gleich mit zwei Schellen – und wir trinken erstmal in Ruhe zwischen unserem ganzen chaotisch herumliegenden Hausstand einen Kaffee, bevor wir alles wieder in den Bus räumen und Richtung Porto Cheli aufbrechen.
Nach ein paar Kilometern stehen wir schon wieder: Irgendwie will unsere Bordbatterie nicht richtig laden. Sie zieht nur etwa die Hälfte der Ampere, die sie normalerweise beim Fahren bekommt. Nico misst an verschiedenen Stellen nach und hat bald die Lichtmaschine im Verdacht. In Porto Cheli halten wir an einer Bäckerei, nach der Aufregung mit dem abgsprungenen Schlauch heute morgen hatten wir noch nicht mal Frühstück. Während wir ein Brötchen mümmelnd auf der österlich geschmückten Hafenpromenade flanieren, befragt Nico unsere Technikexperten zuhause (wir haben die geballte Fahrzeugkompetenz unseres Freundeskreises in einer WhatsApp-Gruppe versammelt – eine unserer besseren Ideen, wie sich bereits ein paar mal gezeigt hat. Was die Jungs schon an – korrekten – Ferndiagnosen rausgehauen haben, kann man in Gold kaum aufwiegen). Man ist sich schnell einig: Die Lichtmaschine ist auf Dauer wohl zu schwach, um auch unsere Bordbatterie mit zu versorgen. Nichts, was einen sofortigen Stopp erzwingen würde und Sonne haben wir derzeit genug, um nicht auf den Fahrstrom angewiesen zu sein. Aber wir sollten es trotzdem abklären und ggfs eine größere Lichtmaschine einbauen lassen. Wir sprechen mit Theo und machen einen Termin für nach Ostern in einer Werkstatt  in Nafplio aus.

Es ist früher Abend, als wir endlich unseren Stellplatz für diese Nacht anfahren – ein einsamer Sandstrand mit feinstem Pulversand (bisher haben wir fast immer an Kiesstränden gestanden), Dünen und darauf wogendem mannshohen Strandgras. Hinter den Dünen senkt sich dekorativ eine orangefarbene Sonne, während Nico kocht – und gerade, als wir den letzten Löffel unseres Quinoa-Eintopfs verspeist haben, schwirren wie auf Kommando Schwärme von Moskitos von irgendwo her um unsere Köpfe und wir flüchten nach drinnen.
Als ich am nächsten Morgen von einem kurzen Gang hinter die Düne zum Lager zurückkomme, liegt der gesamte Inhalt des Busses davor und Nico steckt mit hochrotem Kopf in meinem Kleiderfach – Dèja vu. F*** Wieso reichen zwei Schlauchschellen nicht? Nico schimpft und zetert – und dann fällt ihm ein, dass da noch so ein komisches Teil in der Tüte mit dem Zubehör für den Boiler war, das er nicht mit verbaut hat, weil es in der Einbauanleitung nirgends erwähnt wurde. Er schickt ein Foto davon an Markus  – „Quetschverschraubung“ lautet die prompte Antwort. Dazu da, dass Schläuche nicht von Auslässen springen… Innerhalb von drei Minuten montiert Nico das Ding. Und als ich heute Morgen von einem kurzen Gang in den Olivenhain zum Lager zurückkomme, wartet auf mich – ein Becher Kaffee. Der Inhalt des Busses ist da, wo er hingehört, im Bus.
Das Urlaubsgefühl konnten die technischen Zicken auf jeden Fall nicht vertreiben, gestern haben wir sogar eine Stunde an unserem Sandstrand in der Sonne gelegen, mutterseelenallein und vom Wellenrauschen in Tagträume gelullt.

Als wir genug Sonne haben, fahren wir ein Stündchen weiter auf die Halbinsel Methana, die hauptsächlich aus zwei Vulkanen besteht und entsprechend üppig grünt und blüht. Auf dem Weg dorthin verlockt uns das Schild „Devil’s Bridge“ zu einem kurzen Abstecher. Wir folgen dem Schild und finden abseits der schmalen Straße und oberhalb einer Zitronenplantage ein von einem grünen Blätter- und Nadeldach überschattetes Brücklein, das kein bisschen spektakulär oder teuflisch ist, dafür aber einfach lauschig und wunderhübsch. Auf Methana finden wir in den Hügeln an der Ostseite der Insel erneut einen perfekten Platz für die Nacht – als es Dunkel ist, schimmern am gesamten Horizont hinter dem Meer die fernen Lichter von Athen. Erneut verbringen wir den Abend im Bus, weil es draußen zwar warm aber ganz schön windig ist. Und stellen fest, dass selbst das Drinnensitzen im Sommer besser ist: Wenn man einfach nur im T-shirt oder Pulli barfuß rein- und rausschlüpfen kann und nicht immer erst Jacken, Mützen und dicke Schuhe anziehen muss, ist es deutlich weniger nervig. Und auch unsere neuen Polster für die Sitzbänke erweisen sich als gute Investition: Auch nach drei Stunden Sitzen noch keine Gesäßlähmung – so lässt es sich drinnen aushalten!

Heute fahren wir weiter auf der Straße, die einmal rund um Methana und seine beiden Vulkankegel führt. Ich begaffe fasziniert das üppige Grün und die Blütenexplosionen am Straßenrand und in den Büschen. Dann erscheinen rechts im Bild ein kleiner Parkplatz und ein Wanderwegweiser: 25 Minuten bis zum Vulkan. Den lassen wir uns nicht entgehen! Wir verdrücken ein schnelles Frühstück/Mittagessen und klettern dann über Steine und Geröll den bezaubernden Weg nach oben, immer wieder sehen wir das Meer, während wir über glatten Fels und poröses Lavagestein kraxeln. Abrupt endet der Weg an einem von riesigen Felsen verkeilten Höhleneingang, über den jemand das Wort „Volcano“ gesprüht hat. Geht’s da rein? Nico krabbelt mutig über die dicken Felsbrocken ein paar Meter in  die Höhle – da ist kein Durchkommen. Egal, ist auch so total schön hier oben und wir feiern unseren kurzen Ausflug auf den Vulkan als „hatten schon schlechtere Mittagspausen“.

Jetzt sitzen wir – mal wieder – in der Bucht bei Epidauros, die auf dem „Heimweg“ Richtung Nafplio liegt. Immer noch keine Hunde. Dafür brutzeln Veggie-Burger auf dem Grill und wir genießen die anhaltende Urlaubsstimmung. Und die langsam ansteigende Aufregung: Morgen geht es zurück zu Theo, und dann nehmen wir die volle Dröhnung griechische Familienostern mit! Ich werde berichten!

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