Die Schlucht von Verdon und ich, wir haben wenig Glück miteinander. Vor ein paar Jahren hat Dauerregen dafür gesorgt, dass aus einer geplanten Wanderung nur ein tropfnasser Abstecher von einer Stunde auf den Grund der Schlucht wurde, dieses Mal ist es ein Sturm, der sich uns in den Weg wirft. Schon vorgestern Abend hat der Wind ordentlich aufgefrischt. Wir haben uns einen kleinen Campingplatz auf einer Farm bei La Palud sur Verdon gesucht, um von hier aus am nächsten Morgen eine lange Tour entlang der Schlucht zu gehen (und auch, um mal wieder zu duschen: Wenn man, wie wir in den letzten Tagen, immer an Orten übernachtet, die noch am Rande der Zivilisation liegen, fällt Duschen am Bus mangels Privatsphäre meistens aus und wird durch Katzenwäsche ersetzt. Für ein paar Tage absolut okay, wir fühlen uns weder schmuddelig, noch schlägt meine empfindliche Nase Alarm. Aber dann irgendwann muss es halt doch mal eine richtige Dusche sein).
Am Abend gehen wir zum ersten Mal auf dieser Reise essen – der Ort ist bezaubernd, das „Menu Lavande“ enthält in jedem Gang Lavendel, schließlich befinden wir uns in der Provence, und irgendwo muss das ganze Kraut – wir sind auf dem Weg hierher an zahllosen abgeernteten Lavendelfeldern entlang gefahren – ja hin. Als Gewürz in unserem Essen macht es sich jedenfalls ganz hervorragend.
Als wir zurück am Bus sind und uns zum Schlafen nach drinnen verkrümeln wollen, pfeift der Wind schon ganz ordentlich. Wir konsultieren drei Wetter-Apps – zwei sagen, dass die Böen nicht schlimmer als 40 km/h werden, eine behauptet Böen bis 80 km/h. Es ist dunkel, nass und kalt, wir sind müde – und beschließen, Tisch, Stühle und Markise nicht mehr einzuholen – wofür haben wir den Luxus eines Campingplatzes, da wollen wir nicht, wie sonst immer abends, alles verklappen müssen. Eine Fehlentscheidung, wie sich im Laufe der Nacht herausstellt.
An Schlaf ist nicht zu denken in dieser Nacht. Der Wind heult um den Bus, dann ist wieder alles gespenstisch still, bevor die nächsten Böen um Mr.Norris herum fegen. Alle Viertelstunde wirft Nico einen Blick durchs Fenster, um zu prüfen, ob die Markise hält. Es schüttet immer wieder, irgendwas schlägt im Rhythmus des Sturms an die Karosserie. Drei Mal klettert Nico in dieser Nacht aus dem Bus, kriecht aber jedes Mal mit der Erkenntnis wieder ins Bett, dass eigentlich alles sicher ist da draußen. Um 5.30 Uhr schließlich verlieren wir die Nerven. Wir entscheiden, dass die Markise rein muss. Raus aus dem warmen Bett, rein in das, was gerade greifbar ist an Klamotten, und raus in Regen und Sturm, um so schnell es geht die Markise einzurollen. Tisch und Stühle auf den Rücken gedreht, damit nichts wegfliegen kann, und zurück ins Bett. Dann endlich haben wir Ruhe. Wir schlafen bis zum nächsten Morgen um 10 Uhr. Was wir daraus lernen? Lieber direkt alles abbauen und dann seinen Seelenfrieden haben, als die ganze Nacht von der Sorge wach gehalten zu werden, es könnte etwas passieren – selbst wenn am Ende vielleicht doch alles gut gehen würde.
Den Wind hingegen haben wir uns natürlich nicht nur eingebildet. Es stürmt auch am nächsten Morgen noch ordentlich. Unsere einzigen Nachbarn auf dem kleinen Campingplatz sind zwei junge Franzosen mit ihrem nicht einmal ein Jahr alten Kind. Sie sind mit Zelt und Fahrrädern da und bauen gerade gegen den Wind ihr Camp ab, als ich aufwache und durch den Vorhang nach draußen linse. Mehrfach in der letzten Nacht habe ich an sie gedacht: Während wir in unserem Bus hin und her geschüttelt wurden vom Sturm, habe ich mich gefragt, wie es ihnen in ihrem Zelt wohl gehen mag. Ich bin voller Bewunderung für die beiden: Auf diese Weise zu reisen und dabei noch ein Kleinkind mit an Bord zu haben, das ist echter Wagemut.
Ein paar Stunden später treffen wir die drei wieder: Wir haben unsere geplante Wanderung entlang der Schlucht von Verdon aufgrund des Wetters gecancelt. Acht Stunden hätte sie gedauert, da wir das Wetter nicht einschätzen können, und ich sehr viel Respekt vor den Bergen habe, haben wir beschlossen, dass heute nicht der richtige Tag für diese Exkursion ist. Wir fahren, nachdem wir unser Lager abgebrochen haben, erst einmal Richtung eines Aussichtspunktes, von dem aus man einen spektakulären Blick in die Schlucht hat. Von dort aus wissen wir nicht so recht weiter: Wir haben Hunger, unsere Pläne für heute sind durchkreuzt, und wir wissen nicht, wohin. Eigentlich wollen wir der Landstraße weiter Richtung Osten folgen, unser Navi schickt uns aber in eine Sackgasse. Wir fluchen – und stellen dann fest, dass das eigentlich gar keine schlechte Idee war. Am Ende der Sackgasse ist ein kleiner Wanderparkplatz, an dem das junge Paar sich gerade wieder auf die Räder schwingt – und von dem aus wir spontan für eine gute Stunde durch die Schlucht wandern. Mal ist Sonne da, doch es stürmt und regnet immer wieder. Aber für eine Stunde kann man das alles aushalten (und immerhin sitzen wir nicht auf dem Fahrrad und müssen in ein paar Stunden mit einem Kleinkind in ein klammes Zelt kriechen). Auf der Strecke liegen mehrere alte Tunnel, die Anfang des 19. Jahrhunderts gegraben wurden für ein wahnwitziges Projekt, das am Ende nie zustande kam. Ich bin kein großer Fan von Höhlen oder Tunneln, angesichts des Wetters kommt mir das aber heute recht gelegen. Auf dem Rückweg kleben wir unseren ersten Aufkleber an einen Wegweiser: Jetzt wissen alle, dass wir hier waren.
Klatschnass steigen wir zurück in den Bus. Am Mittag hatten wir auf dem Weg zum Wanderparkplatz einen schmalen Pfad gesehen, der nach etwa 20 Metern vor einigen großen Steinen endete. Die kleine Sackgasse bietet uns idealen Schutz vor dem Wind und vor neugierigen Blicken, wir beschließen, die Nacht einfach hier zu verbringen. Wenn schon aus der großen Wanderung an der Schlucht nichts wird, werden wir wenigstens hier schlafen.
Das beste nach so einem unwirtlichen Tag? Pasta und Rotwein. Nico kocht gegen den Regen an und bringt im Schutz der Heckklappe eine exzellente Putanesca zustande. Wir schmeißen zum ersten Mal auf dieser Reise die Standheizung an (ich hatte gehofft, dass das vor November nicht nötig wäre, aber sieben Grad sind sieben Grad). Buchen für Sonntag die Überfahrt nach Sardinien, zeigen unsere Einreise, wie wegen Corona erforderlich, online bei der italienischen Regierung an (ob wir einen Coronatest machen müssen, können wir nicht verbindlich herausfinden, das werden sie uns aber wohl spätestens bei der Einreise auf der Insel sagen), kniffeln noch ein paar Runden – und holen dann den Schlaf der vergangenen Nacht nach.