Wir haben in den letzten beiden Jahren unseren Sommerurlaub mit Zelt, Mountainbikes und Wanderschuhen auf Korsika verbracht und daher Übung im Fährefahren. Souverän setzt Nico unseren Bus auf das Oberdeck der MV Corfu im Hafen von Brindisi. Fünf PKW, drei Camperbusse und vielleicht zwei Dutzend Passagiere auf einem Schiff, das 750 Menschen fasst – Mai ist definitiv keine Saison in Südosteuropa. Dann aber strömen immer mehr Männer jeden Alters in den Sitzbereich unter Deck, ausgestattet mit Tüten voller Essen, Wasserflaschen und Wolldecken – Vollprofis im Fährefahren. Trucker. Pendler, die die siebeneinhalb Stunden auf der Adria zwischen Brindisi und Igoumenitsa regelmäßig fahren, ihre LKW tief im Bauch der Fähre verladen. Statt auf die teuren Snacks an der Bar der Fähre angewiesen zu sein, versorgen sie sich selbst. Essen, trinken, gehen nur auf einen Kaffee (der in Italien selbst in der miesesten Hafenkaschemme immer aus einer anständigen Barista-Maschine kommt!) und ein Schwätzchen mit dem Barkeeper an die Bar. Man kennt sich. Wir scheinen die einzigen Lustreisenden zu sein an diesem grauen Donnerstagmittag, an dem uns frühmorgens ein ordentlicher Wind im Schlaf in unserem Bus durchgeschüttelt hat. Das lässt meinen kapriziösen Magen Böses ahnen für die Überfahrt.
Die Trucker bewegen sich auf der Fähre wie in ihrem Wohnzimmer. Und legen sich nach dem Mahl aus ihren Tüten direkt auf den gepolsterten Bänken lang, drapieren sich die Decken über die Bäuche und schlafen, als lägen sie zuhause auf der Couch. Mir ist schwummerig. Lesen hilft etwa eine Stunde lang, dann macht das Schauen auf die Seiten mir noch mehr Schwindel. Internet geht nicht auf hoher See, auch sonst gibt es keine Ablenkung. Was tut man in einem solchen Fall maximaler Zerstreuungslosigkeit? Genau, Kniffeln. Hab ich für solche Fälle digital auf dem Handy.
Fünf Stunden lang liefern Nico und ich uns harte Gefechte – dann ist endlich 19.00 Uhr und das Bordrestaurant öffnet. Unser Plan, unser Reisebudget so niedrig wie möglich zu halten, funktioniert an einem solchen Tag einfach nicht (und wird generell im Urlaub schwierig, da wir erstens schneller reisen als später auf der großen Reise und zweitens – mal ehrlich – immer noch im URLAUB sind und uns von einem bisher echt anstrengenden Jahr erholen wollen. Da will ich nicht auf jeden Euro achten, das wird aber auf der großen Reise sicherlich anders werden!). Für zwei Portionen Hähnchen mit Fritten, einen Salat, in dem außer Salatblättern und sechs (dafür sehr leckeren) griechischen Oliven nichts drin ist, und zwei kleine Hellas-Pils zahlen wir über 40 Euro.
Auch die Trucker strömen Punkt 19.00 Uhr in das Restaurant, das wie eine Kantine aussieht und wo es wie in der Kantine schmeckt. Brav legen sie alle einen Apfel neben die Schnitzel oder Hähnchen auf ihr Tablett (ich höre die Ehefrauen innerlich mahnen, ja auch mal ein paar Vitamine zu sich zu nehmen), trinken Wasser oder Cola, sitzen allein oder zu mehreren und arbeiten sich mit dem Plastikbesteck durch ihr Abendessen. Ich komme mir unglaublich privilegiert vor. Keine Ahnung, wie oft sie diese Strecke zwischen Brindisi und Igoumenitsa fahren (und dort hin und von dort weiter), aber das kann kein leichtes Leben sein. Sie sehen aus wie einfache Leute mit harten Jobs. Aber was weiß ich schon. Ich schaue nur und fühle mich reich mit all den schönen Plänen und Perspektiven, die wir haben.
Endlich legt die Fähre im Hafen von Igoumenitsa an. Die Trucker verschwinden im Bauch des Schiffs und dürfen als erste von Bord fahren. Wir acht Privatfahrzeuge hinterher. Es ist schon fast 23.00 Uhr nach griechischer Zeit, aber wir haben es nicht weit: Wir schlafen in dieser Nacht mit dem Bus zum ersten Mal mitten in der Stadt auf einem kostenfreien Parkplatz direkt neben dem Hafen. Groß und gut beleuchtet ist er, an die Hafenpromenade mit Cafés angrenzend, noch zwei andere Campervans und jede Menge PKW stehen hier. Der Platz sieht viel vertrauenerweckender aus als wir befürchtet hatten. Zum Wummern der Schiffsmotoren der MV Corfu, die noch in dieser Nacht zurück nach Brindisi fährt, schlafen wir ein und fühlen uns wie die Profis, weil wir so souverän einfach mitten in der Stadt schlafen.