Die Kreise, die wir in New York ziehen, werden erst größer – dann wieder kleiner. Unsere Neugier, unsere Suche nach dem „echteren“ New York und unsere touristische Sorgfaltspflicht treiben uns zu Stippvisiten nach Harlem, nach Staten Island, nach Brooklyn. Sehr oft zu Fuß. Zum einen, weil wir gern gehen. So lernen wir eine neue Umgebung gemächlich und Schritt für Schritt kennen. Zum anderen aber auch, weil wir mehrfach am durchdigitalisierten New Yorker Nahverkehr scheitern. Für alles braucht man eine Kreditkarte. Kein Problem eigentlich, die haben wir und die nutzen wir auch fleißig. In den ersten acht Tagen in New York heben wir nicht einmal Bargeld ab, weil das hier nicht nötig ist. Aber die Ticketverkaufsmaschinen der New Yorker Subway wollen nicht nur Geld, sie wollen auch Daten wie z.B. unsere Postleitzahl. Natürlich eine amerikanische – die von Delmenhorst oder Köln kennen sie nicht. Mehrfach versuchen wir, der Maschine Postleitzahlen anzubieten. Was jedesMal dazu führt, dass sie uns am Ende des Buchungsvorgangs informiert, dass die Transaktion nicht durchgeführt werden kann und wir KEIN Subway-Ticket bekommen – trotzdem aber unsere Kreditkarte belastet wird. Nach 16,70 Dollar geben wir auf – und gehen zu Fuß auf die Upper Westside. Auch unsere geplante Fahrradtour nach Brooklyn scheitert am Automaten: Alle paar Blocks stehen hier in Manhattan ganze Heere von Mieträdern, die man mit einer App oder einer Kreditkarte auslösen kann. Da wir immer noch keine US SIM-Karte haben (ein weiteres Scheitern am digitalen Zeitalter, der Profi-IT’ler kämpft noch mit den Wirren des amerikanischen Mobilfunks. Das Letzte, was ich von ihm zu diesem Thema hörte, war „Ich bin ein verdammter Hacker, ich werde Euch schon zeigen, dass Ihr Euer Netz nicht einfach mit miesen Tricks für europäische Handys sperren könnt, muharrharr!“), versuchen wir es mit der Kreditkarte. 17 Eingabeschritte später die schmallippige Aussage der Maschine: „Leider können wir die Buchung nicht durchführen“. Kein Warum, kein „Versuchen Sie’s nochmal“, einfach nur „geht nicht“. Die 200 Dollar Pfand für zwei Mieträder buchen sie trotzdem erstmal ab (die sind am nächsten Morgen aber zum Glück wieder gelöscht, haben sie wohl selber gemerkt, dass wir aus Gründen gar kein Fahrrad bei ihnen ausgelöst haben). Nico knurrt „Na, egal, der Fußbus fährt immer“ und stampft los Richtung Brooklyn (lächerliche 6,5 KM von unserem Hotel aus, als ob uns das aufhalten würde! Ha!).
Wir fluchen über die Technik – aber eigentlich finden wir es toll, zu laufen. Wir entdecken noch viel mehr Dinge, die uns an New York gefallen (und mir das unwohle und möglicherweise ebenso voreilige wie hochnäsige Gefühl der ersten Tage nehmen, dass hier alles irgendwie unecht ist). New York ist unglaublich grün. Überall kleine Parks oder von irgendeiner Bürgerinitiative gepflegte private Gärten, die an manchen Tagen gegen eine kleine Spende ihre Tore öffnen und wie friedliche Oasen im Dschungel der Großstadt wirken. Alter Baumbestand in den Seitenstraßen der Wohnviertel, der die Menschen vor der hier üblichen brutalen Sommerhitze schützt. Wo es nicht grün ist, helfen Shop-Besitzer nach: Girlanden aus künstlichen Blumen zieren zahllose Eingänge von Läden und Lokalen und erfreuen das Auge. Wo Grün ist, ist auch fast immer Platz zum Verweilen: Wie in unserem Lieblings-Park, dem Madison Square Park, stehen auch an vielen anderen Grünflächen Tische und Stühle zur freien Nutzung. Die Rasenflächen dürfen zum Sonnenbaden, Frisbeespielen oder Picknicken genutzt werden – und die New Yorker tun das in Scharen!
An einem der Tage, wo es uns mit einer List glückt, ein Subway-Ticket zu ergattern (ein Mann gibt Nico den Tipp, an den Drehkreuzen einfach direkt über kontaktloses Bezahlen mit der Kreditkarte einzuchecken – und siehe da, das Drehkreuz lässt uns durch!) fahren wir zum South Ferry Terminal und gehen auf ein kostenfreies (eine Rarität in dieser unglaublich teuren Stadt, wo jeder Museumseintritt 25 Dollar pro Person kostet und an Karten für ein Broadwaystück für uns gar nicht erst zu denken ist) Schiff nach Staten Island. Eimmal Hafenrundfahrt für lau, vorbei an der Lady of Liberty und mit traumhaftem Blick auf die Skyline von Manhattan. Eigentlich wollen wir in Staten Island gar nicht von Bord, sondern gleich die 20-minütige Rückreise antreten. Aber die Besatzung scheucht uns an Land und verweist auf die nächste Fähre. Um die zu kriegen, müssten wir rennen, also beschließen wir, uns mit einer Dose Bier in einer braunen Tüte auf eine Bank neben dem Fährgebäude zu setzen und noch ein bisschen nach Manhattan rüberzuschauen. Von weiter links hören wir immer wieder Musik und Jubel, Nico entdeckt auf der Karte das Baseball-Stadion des lokalen Clubs, der Staten Island Hawks. Wir können nicht widerstehen und gehen hin. Kaufen uns Tickets, setzen uns auf die mäßig besuchten Tribünen und lassen uns von dem Spektakel einfangen. Der Stadionsprecher macht Stimmung, Kinder rennen zwischen den Stuhlreihen hin und her, die Eltern schauen mit einem Auge auf das Spiel und mit dem anderen auf ihre Nachos oder in die Popcorn-Tüten. Die Sonne sinkt langsam über dem Hudson River und über die Wände des Stadions hinweg sieht man die Lichter Manhattans allmählich angehen. Die Hawks verlieren im letzten Inning 4:1, aber das tut der Familienausflugsstimmung auf den Rängen keinen Abbruch. Und dann bittet der Stadionsprecher alle, noch sitzen zu bleiben: Es gibt Feuerwerk! Beseelt steigen wir spätabends zurück auf die Fähre: Gut, dass wir gezwungen wurden, an Land zu gehen, was hätten wir verpasst! Als Zugabe gibt’s nochmal die nächtliche Skyline vom Wasser aus – mein lichterliebendes Herz lacht!
Ach ja, Brooklyn. Nicht mit dem Fahrrad, sondern zu Fuß ziehen wir also los. Einmal quer von Chelsea durch das Village Richtung Downtown und auf die Manhattan Bridge. Von dort aus hat man einen Blick auf die prachtvolle Brooklyn Bridge, die für den Rest des Tages unser Fixstern sein wird. Auf der anderen Seite angekommen, umfängt uns sofort Touristenrummel der unangenehmen Art: Das ganze Viertel unter den beiden nah beieinander liegenden Brückenköpfen der Manhattan und der Brooklyn Bridge scheint nur zu existieren, um Touris abzufüttern. Leider hat man von hier aus auch den besten Blick über den East River hinüber auf die Hochhäuser Manhattans (von deren Anblick aus egal welchem Winkel ich einfach nie genug bekommen kann), also stürzen wir uns ins Getümmel. Es ist Sonntag und brechend voll, wir machen ein paar Fotos und verkrümeln uns dann in den Brooklyn Bridge Park direkt am Ufer, um uns zwischen den anderen Ausflüglern und Picknickern niederzulassen und auf die Abenddämmerung zu warten. Als die Sonne hinter den Skyscrapern verschwindet, gehen wir los, zu Fuß zurück über die Brooklyn Bridge mit ihrer steinernen Bögen und stählernen Tauen. Eine Stunde lang schwebe ich mit tausend anderen Touristen zusammen manhattan-wärts und kann mich nicht sattsehen an dem Licht, der Architektur, dem glitzernden Häusermeer. Definitiv eines meiner New York Highlights!
Von Brooklyn selber sehen wir, ebenso wie von Harlem, nicht viel. Es bleiben Stippvisiten, kurze Eindrücke. Stattdessen werden unsere Kreise gegen Ende unserer New York-Zeit wieder kleiner, ohne, dass wir das so geplant hätten. Aber nach sieben langen Tagen merken wir, dass wir 1. sowieso nicht alles intensiv und gebührend besuchen können und weniger demzufolge mehr ist, und dass wir 2. gar nicht die Energie für jeden Tag Sightseeing haben. Lieber sitzen wir öfter mal im Madison Square Park bei uns um die Ecke oder gehen abends in die kanadische Sportsbar einen Block weiter, um ahnungslos aber fiebernd die Playoffs für den Stanley Cup zu verfolgen und uns von der Leidenschaft der übrigen Gäste mitreißen zu lassen (wen’s interessiert: die New York Rangers liegen im Kampf um den Einzug ins Halbfinale gegen die Carolina Hurricanes gleichauf: Im Best of Seven steht es zwischen beiden Teams 3:3, heute Abend findet das entscheidende siebte Spiel statt). Der Fußbus fährt die nächsten Tage nur noch kleine Touren – und wir nehmen uns Zeit zum Trödeln oder für Schwätzchen wie das mit Herman, dem kolumbianischen Kellner aus dem Diner nebenan, der 20 Jahre lang für die Hapag Lloyd auf Kreuzfahrten Gäste betreut und 74 Länder bereist hat – und vor Begeisterung glänzende Augen bekommt, als er von unseren Plänen hört, für zwei Jahre die Amerikas zu bereisen. Oder das mit Marvin, dem Verkäufer im Best Buy (sowas wie bei uns Media Markt oder Saturn), der uns durch den Mobilfunk-Dschungel hilft und zu leuchten beginnt, als er erfährt, dass wir aus Köln kommen. Seine Lieblingsstadt in Deutschland, in der er regelmäßig als Tanzlehrer arbeitet – und gerade versucht, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, um dort Vollzeit zu unterrichten. Solche Begegnungen machen mich glücklich und ich wünsche mir noch ganz viele davon!
Habe irgendwo gelesen, dass „99999“ als ZIP-Code funzen soll …
Hi Markus,
Danke für den Tipp.
Einmal hat tatsächlich 10011 funktioniert, ein anderes mal nicht. Da wie erwähnt immer wieder die Kreditkarte belastet wird haben wir das experimentieren irgendwann aufgegeben. Einfach die Kreditkarte am Drehkreuz zu verwenden ist auf jeden Fall die bequemste Variante.
VG Nico
Wieder mitgenommen worden, herzlichen Dank für die interessanten und so einfühlsamen Bericht.
LG Monika
Danke für das liebe Feedback und es freut mich, dass Du auf diese Weise mit uns durch New York streifst 🙂
90210 die PLZ von Beverly Hills.
Hat bei uns immer funktioniert.
Liebe Grüße,
Tatjana
Hallo Tatjana, da kriege ich gleich Flashbacks in die frühen Neunziger – danke für den Tipp 🙂