Etwas stimmt nicht. Ich sehe es schon am zweiten Abend in Frankreich auf Nicos Gesicht. Sehe es wieder und wieder an allen Tagen danach, spüre wie es auch an meinen Knochen und meinem Gemüt nagt. Mr. Norris ist zu klein. Wie oft sind wir eigentlich schon zu dieser Erkenntnis gekommen? Haben nach einer größeren Alternative gesucht, nicht das passende gefunden und das Thema immer wieder zu den Akten gelegt. Weil Mr. Norris so ein treuer Gefährte ist. So unglaublich gut in Schuss, mit so viel Liebe und Zeit exakt auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten. Sind auch nach der Pause in Deutschland wieder voller Tatendrang in seinen Bauch gestiegen, wild entschlossen, uns von seiner geringen Größe nicht einschränken zu lassen. An unsere inneren Haltung zu arbeiten und öfter mal auf einem Campingplatz oder in einer Ferienwohnung unsere Rücken durchzustrecken. Es trifft mich, dass wir schon 48 Stunden nach dem Aufbruch wieder an diesem Punkt angekommen sind; beschließen, noch mal eine Woche zu schauen, bis wir uns wieder voll ins Reiseleben eingewöhnt haben; nach dieser Woche das Gefühl immer noch nicht losgeworden sind, mit den richtigen Ideen im falschen Fahrzeug zu stecken. Dünnhäutig und grimmig stapfen wir durch Rochefort. Nehmen die Schönheit der Stadt kaum wahr, sind zu sehr damit beschäftigt, unsere schlechte Laune in den Griff zu bekommen. Verbringen zwei Nächte an den endlosen Stränden des Atlantik, schlendern durch Bordeaux, reisen weiter über die spanische Grenze nach San Sebastian, betören uns am Zauber dieser Stadt – und machen all das doch nur mit halbem Herzen. Verkriechen uns für zwei Nächte auf einem kleinen Campingplatz bei Burgos und versuchen, eine Lösung für unser Unbehagen zu finden, das uns verfolgt, wie ein dreibeiniger Hund, den wir einfach nicht loswerden. Der Herbst in Europa, selbst hier im Süden, entlarvt Mr. Norris‘ schwächste Seite gnadenlos: Sobald die Sonne weg ist, wird es kalt. Auf einem Campingplatz packen wir uns dann warm in unsere Daunenjacken und Mützen ein und sitzen so lange vor dem Bus, bis wir müde werden. Aber sobald wir frei stehen, ist das keine richtige Option mehr. Zumindest nicht hier, im dicht besiedelten Europa mit seinem allgegenwärtigen Wildcamping-Verbot. Dann müssen wir hinein, und dann können wir es nicht mehr ignorieren, dieses Etwas, das da nicht stimmt.
Wir schauen bei Ebay Kleinanzeigen nach größeren Fahrzeugen. Der L300 mit langem Radstand, festem Hochdach und Allrad wird ein Traum bleiben, wir haben so ziemlich alles gesehen, was in Europa auf dem Markt verfügbar ist, sind nach Kreta, in die Schweiz, in die Niederlande gefahren, um uns die wenigen Exemplare, die überhaupt in Frage kämen, anzuschauen. Keines davon war in einem akzeptablen Zustand. Die modernen Fahrzeuge aber gefallen uns einfach nicht. Ford Transit, Fiat Ducato, Renault Trafic, schon beim Anblick der gesichtslosen Karosserien vergeht uns die Lust am Leben im Bus. Zudem hat sich an unserer Einstellung nichts geändert, dass wir gerne ein Fahrzeug mit Saugdiesel und ohne Elektronik hätten – wenn uns ein moderner Transporter irgendwo im Hinterland von Mexiko oder in den Anden kaputt gehen würde, wo wäre dann der Automechatroniker mit dem Laptop unter dem Arm, der den Fehlerspeicher des Fahrzeugs auslesen und uns ein defektes elektronisches Steuergerät tauschen könnte? Also schauen wir bei Ebay Kleinanzeigen nach den älteren Semestern. Und mit Erstaunen stelle ich fest, dass andere Mütter auch schöne Söhne haben! In meiner Fixierung auf den L300 sind mir all die wunderbar eckigen und kantigen Volkswagen LT, Mercedes MB 100, die alten Ford Transit und die Mercedes T1-Transporter gar nicht aufgefallen. Mein Herz schlägt tatsächlich ein bisschen höher, als ich feststelle, dass Mr. Norris durchaus attraktive größere Geschwister hat. Klar, von anderen Eltern, aber was soll’s. Ihre Gesichter erinnern mich an unseren Kleinen, und das fühlt sich gut an.
Okay, da draußen existieren also Alternativen. Aber sind wir uns sicher, dass ein größeres Fahrzeug die Antwort auf die vielen kleinen Herzrhythmusstörungen dieser Reise ist? Auch an anderen Stellen haben wir immer wieder das Gefühl, dass wir gar nicht so recht wissen, was wir hier eigentlich tun. Fühlen uns oft gehetzt und so, als würden wir nie so richtig ankommen im Reise-Rhythmus. „Warum bleibt ihr dann nicht einfach mal ein bisschen länger an einem Ort?“, fragt unsere Freundin Inga, als wir im Garten der großen Ferienvilla in Zahora sitzen, in der wir eine Woche gemeinsam mit Freunden aus Köln verbringen. „Weil das beim Wildcampen schwierig ist, länger als ein oder zwei Nächte stehen wir ungern an einem Platz, da wir nie weit genug weg von der Zivilisation sind und niemanden mit unserer Anwesenheit belästigen wollen. Von den Behörden ganz zu schweigen“, antworte ich ihr – und während ich mir selber so beim Antworten zuhöre, passiert etwas in meinem Innern. Absolut keine neue Erkenntnis eigentlich, die ich da gerade formuliert habe. Aber so klar und deutlich hatte ich mir das bisher trotzdem noch nie vor Augen geführt. Dieses Gefühl, nicht im Reisen anzukommen, sondern eigentlich im dauerhaften Transit zu leben. Das als anstrengend zu empfinden und mich gleichzeitig mir selbst gegenüber für undankbar zu halten, weil ich doch alle Zeit der Welt, die große Freiheit, genug Reisebudget und den besten Reisepartner auf dem Planeten habe – und trotzdem nicht richtig zufrieden bin.
An diesem Abend gehen wir eine Stunde lang den Strand entlang von Zahora nach El Palmar. Die untergehende Sonne färbt den Himmel langsam Orange, der Atlantik rauscht, weit vorne sehen wir im weichen Licht die Silhouetten unserer Freunde. Wir haben uns zurückfallen lassen, reden über das, was da vorhin in meinem Innern Klick gemacht hat. Darüber, dass wir uns eigentlich noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht haben, was wir eigentlich von dieser Reise erwarten. Wie wir sie uns vorstellen. Dass wir vor der Abreise letztes Jahr im September vielleicht auch noch gar keine konkrete Vorstellung davon haben konnten, da wir ja nicht wussten, wie es sich anfühlen würde, so lange unterwegs zu sein. Dass wir vielleicht gar nicht dieselben Vorstellungen davon haben, wie unsere Tage, Wochen und Monate unterwegs aussehen sollen. Dass Nico gerne viel häufiger einfach nur am und im Bus verweilen und dort vor sich hin werkeln würde, während mich die innere Unruhe weiter treibt, auch wenn ich gar nicht so genau weiß, wohin. Wir finden an diesem Abend keine Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft reisen wollen. Aber wir treffen eine Entscheidung, die mich mehr Mut kostet, als die Entscheidung vor vier Jahren, dieses verrückte Projekt Langzeitreise anzugehen und dafür Wohnung und Job zu kündigen. Wir beschließen, einen Teil unseres Reisebudgets in die Hand zu nehmen, und ein größeres Fahrzeug zu kaufen und auszubauen. Ich, die stockkonservative Finanzministerin, die schon diese Extrarunde in Europa immer mit einem weinenden Auge betrachtet, weil sie an unserem Budget nagt, das eigentlich für eine ganz andere Reise gedacht war, beschließe, Vertrauen zu haben. Weil mich die Erkenntnis trifft, dass eineinhalb oder zwei Jahre auf Reisen in einem Fahrzeug, in dem wir uns wohl fühlen, besser sind, als drei oder mehr Jahre unterwegs, in denen wir ständig schlechte Laune haben, weil Platzmangel an unseren Nerven zerrt. Dass meine innere Unruhe vielleicht auch damit zusammenhängt, dass ich in Mr. Norris keinen Raum habe, um zur Ruhe zu kommen. Außerdem: Was wissen wir, was in eineinhalb oder zwei Jahren ist? Vielleicht haben wir dann gar keine Lust mehr zu reisen? Oder arbeiten so viel von unterwegs, dass wir die Lücken im Budget locker ausgeglichen kriegen? Ich habe in meinem Leben schon so oft die Erfahrung gemacht, dass es immer eine Lösung gibt. Dass Dinge, über die man sich Sorgen macht, gar nicht eintreffen. Dass von irgendwo immer etwas oder jemand zu mir kommt, das oder der genau das ist, was ich in dem Moment brauche. Mich also heute ängstlich an ein Budget zu klammern, das erst in zwei Jahren relevant wird, und dann auch nur vielleicht, würde das Geld höher priorisieren als die Reise. Und das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollen endlich mit ganzem Herzen reisen, nicht bloß mit halbem.
Nun geht sie also los, die Suche nach dem passenden Fahrzeug. Es soll ein Mercedes aus den Neunzigern mit dem unverwüstlichen 5-Zylinder-Motor dieser Jahre werden, so viel ist inzwischen klar. Mein Schwager Klaus kennt diesen Fahrzeugtyp in- und auswendig, er hat und schon mit einer Fülle von Informationen versorgt, die eine oder andere Anzeige für uns gecheckt, und uns akribisch gebrieft, worauf wir bei diesem Modell achten müssen. Wie es, wenn „der Neue“ irgendwann da ist, mit Mr. Norris weitergeht und ob er jemanden findet, der mit ihm weiter reist, wissen wir noch nicht. Der Gedanke daran, den Kleinen abzugeben, macht uns das Herz schwer. Aber auch dafür werden wir eine Lösung finden.
Und wieder einmal triffst du unsere Gedanken auf den Punkt.
Seit der Rückkehr sind wir auch auf der Suche nach was größerem. Und mit geweitetem Suchfeld entdecke ich nur noch Gefährte die für 2 Personen perfekt sind, aber nicht für unsere Mannschaftstärke und zukünftigen Ambitionen ausreichen würden.
Aktuell habe ich mich auf einen MB 609D oder den längeren 711D eingeschossen. Aber vor dem Winter einen leeren Bus kaufen ohne potentielle Unterstellmöglichkeit ist nicht so praktisch.
Mal schauen was es bei euch wird. Aber der Markt für 2 Personen ist echt richtig gut.
Es tut mir gerade total gut, zu lesen, dass auch andere Reisende mit ihrem Platz nicht immer so ganz auskommen. Eigentlich sind in meiner Wahrnehmung alle Leute in der kleinsten Blechbüchse happy, nur wir kriegen es nicht hin, ohne Gejammere in unseren kleinen Mr. Norris zu krabbeln. Ich habe großen Respekt dafür, dass ihr mit Kind und Hund in einem ebenfalls recht kleinen Fahrzeug unterwegs seid und euch das bisher nicht davon abgehalten hat, die Welt zu entdecken. Aber ich kann auch mehr als gut verstehen, dass irgendwann der Punkt gekommen ist, an dem der Platz nicht mehr reicht. Cool, dass auch ihr in Richtung Mercedes denkt. Wenn wir was Interessantes sehen, das zu euren Anforderungen passt, lassen wir es Euch wissen