Kann man gleichzeitg dankbar und abgefuckt sein? Ich weiß nicht, was die Psychologie zu dieser Frage zu sagen hat, aber ich persönlich bin vollkommen in der Lage, diese beiden kontrahierenden Gefühle in meiner kleinen Seele zu vereinen. Ich erteile der Diplomatie halber zunächst den dankbaren Stimmen in meinem Kopf das Wort: Auch nach fünfeinhalb Monaten Stillstand bin ich immer noch froh, dass wir losgefahren sind. Ich bin jeden Morgen dankbar für meine Tasse Kaffee in aller Seelenruhe, für die Abwesenheit von Zeitdruck. Für den milden Winter und die vielen, vielen Sonnenstunden, die wir bisher hier hatten. Für die umwerfende landschaftliche Schönheit unseres griechischen Gastlandes und für jedes freundliche Wort und jedes Lächeln, das die Menschen hier mit solcher Großzügigkeit verschenken. Für unsere Zeit im lebendigen Kalamata und die in unserem wunderschönen und einsamen Haus in Mystras. Für alles, was wir unterwegs gelernt haben und was uns für den weiteren Verlauf unserer Reise hilfreich und nützlich sein wird. Und nicht zuletzt für die nun bereits fünf Wochen, die wir bei Theo wohnen und in denen wir die griechische Gastfreundschaft noch einmal auf einem ganz anderen Level kennengelernt haben.
So, und nun zu den abgefuckten Stimmen. Das wird jetzt nix für zarte Gemüter, denn ich bin heute wirklich, WIRKLICH nicht gewillt, mir das schönzureden: CORONA NERVT. Ach, höre ich Euch sagen. Fällt ihr nichts Besseres ein? Müssen wir das jetzt hier auch noch lesen? Reicht es nicht, wenn wir damit jeden pandemiegeplagten Tag, den Gott werden lässt, zuhause, im Job, im Freundeskreis, in den Medien konfrontiert werden? Wir wollen Reisegeschichten! Schreib was über das Meer! Oder über den reizenden alten Mann, der Euch jedes mal, wenn Ihr zum Einkaufen geht, von seiner Dachterrasse aus zuwinkt und euch auf einen Kaffee zu sich nach oben einladen möchte. Oder von uns auch irgendwas Langweiliges über Olivenanbau oder die schwangere Katze von Theo. Aber bitte bitte nicht darüber, dass Dir Corona auf den Keks geht! Doch, sorry, da müsst Ihr jetzt durch. Und zwar genau deswegen, weil ich seit Monaten verzweifelt darum bemüht bin, meinen Fokus NICHT auf Corona zu legen. Nicht in meinen Gedanken, und nicht im Blog. Aber heute, HEUTE muss es mal raus!
Seit Wochen verbiete ich mir das Jammern, weil ich denke, wir sind ja immerhin in Griechenland. Sitzen nicht in Deutschland in einer Wohnung fest, müssen nicht Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bringen, nicht darauf achten, mit wie vielen Personen aus wie vielen Haushalten wir uns dann vielleicht doch mal draußen irgendwo im Kalten treffen dürfen und müssen nicht alle zwei Wochen neue Regeln lernen. Aber ganz ehrlich? Wir sitzen genauso fest. Und darüber täuscht nach fünfeinhalb Monaten auch das schöne Wetter nicht mehr hinweg. Hier tut sich nix, jede Fahrt mit dem Bus zu einem Stellplatz ist im Prinzip regelwidrig, von der Fahrt in eine neue Region mal ganz zu schweigen. Ja, haben wir wochenlang trotzdem gemacht, machen andere Langzeitreisende auf dem Peloponnes auch nach wie vor, aber jetzt mal ehrlich: Wie gut fühlt sich das an, wenn man sich eigentlich die ganze Zeit verstecken muss und gegen – ziemlich sinnvolle – Regeln verstößt? Eben. Also sitzen wir jetzt in einer Ferienwohnung und machen genau das, was alle anderen Menschen zuhause auch gerade tun: Abwarten und hoffen, dass es endlich mal vorbei ist mit dem ganzen Irrsinn. Pläne schmieden? Fehlanzeige. Und das ist der Teil, der mich am meisten verärgert: Das hier ist nicht unser Urlaub, das ist unser Leben. Und wir haben keinen Schimmer, wohin wir uns als nächstes wenden sollen. Wir können nicht ewig bei Theo bleiben, aber wohin können wir dann? Ich bin sauer auf Corona, dass es mir eine meiner größten Freuden am Reisens nimmt: das Pläneschmieden. Und nicht nur das: Es nimmt mir die Kraft, mir vorzustellen, dass ich je wieder Lust auf Pläneschmieden haben könnte! Ich kann mich schon kaum noch erinnern, wie sich das anfühlt und bin an vielen Tagen einfach viel zu antriebslos dafür.
Mitte Mai will Griechenland sein Land wieder für den Tourismus öffnen. Zum griechischen Osterfest am 2. Mai vielleicht schon das Reisen zwischen den Regionen wieder erlauben. Euphorisiert mich diese Vorstellung? Nein. Sie lässt mich merkwürdig unberührt. Wozu mich gedanklich darauf einstellen, wenn es am Ende vielleicht doch wieder nicht so kommt? Wozu Pläne schmieden, wenn wir nicht mal die Rahmenbedingungen dafür kennen? Hat mich Corona zur Zynikerin gemacht? Das passt überhaupt nicht zu mir, normalerweise bin ich da total pflegeleicht und keine noch so kleine erfreuliche Perspektive ist mir zu klein, um sie nicht als Anlass zum Träumen zu nehmen. Diese Qualität geht mir in den letzten Wochen immer öfter flöten. Und dafür würde ich Corona am liebsten den Mittelfinger zeigen.
Höre ich da jemanden, der vorschlägt, doch einfach in ein anderes Land zu fahren? Haben wir uns auch schon Gedanken drüber gemacht, aber das Problem hier ist nicht Griechenland, sondern Corona. Auch in anderen Ländern gibt es Beschränkungen, selbst wenn diese nicht in Form eines ziemlich scharfen Lockdowns auftreten, dann eben in Form von hohen Inzidenzen. Nur, weil die Regierung uns bestimmte Dinge nicht verbieten würde, heißt es ja noch lange nicht, dass es deswegen vernünftig wäre, sie zu tun. Möchte ich in einem Land, in dem die Restaurants geöffnet sind, bei Speis‘ und Trank sitzen, während draußen die dritte Welle über die Straßen rollt? Sicher nicht. Selbst wenn ich dürfte. Meine Wut zielt also einzig und allein auf das verflixte Virus. Und wenn jetzt irgendein Schlauberger meint, dann hätten wir doch einfach zu Hause bleiben und warten sollen, bis die Pandemie vorbei ist: Da wäre es jetzt auch nicht besser, nur kälter. Womit wir wieder bei einem Gefühl der Dankbarkeit wären. Ihr seht, das geht problemlos in meinem Herzen zusammen.
Falls ihr bis hierhin durchgehalten habt: vielen Dank, dass ihr euch mein Gejammer angehört habt. Mir ist natürlich völlig klar, dass euch allen genauso zum Kotzen ist, vielleicht nicht bei denselben Details, die Corona für euch zur Fußfessel, zum Stimmungstöter, zum Zukunftvernebler machen. Aber ich vermute, das Prädikat „unzufrieden mit der Gesamtsituation“ trifft es für viele gerade ganz gut. Kommt, wir halten noch ein bisschen durch und verlassen uns auf Oscar Wilde: Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, dann ist es noch nicht das Ende. Oder noch besser als Kalendersprüche: Wir verlassen uns darauf, dass es unsere Entscheidung ist, wohin wir unseren Fokus lenken. Auf die Sachen, die uns abfucken, oder auf die Sachen, für die wir dankbar sind.
Guten Abend meine liebe Brit, ich sehe es auch so wie Du schreibst. Es ist ein schlimmes Gefühl, wenn man nicht Selbstbestimmt leben kann. Wenn wir alle 14 Tage was Neuem folgen sollen, was uns gut tuen soll und das jetzt schon 12 Monate. Ich bins auch Leid jeden Tag unseren Herrn Maier zu sehen und nicht aus dem Haus zu kommen. Halten wir durch und freuen uns gesund und ja, positiv zu denken.
Wir werden sicher bald wieder Reisen. LG Monika
Genau so machen wir es! Danke für Deine lieben Worte ♡