Bad Hair Life

Meine Haare und ich, wir stehen auf dem Kriegsfuß miteinander, seit ich denken kann (fragt meine Schwester, die hat sich unsere gesamte Kindheit und Jugend über ein Bad mit mir geteilt…). Zu dünn, nicht glatt genug, nicht lockig genug, zu lang, zu kurz, zu langweilig – nie sah es auf meinem Kopf so aus, wie ich mir das gewünscht hätte. Seit Jahrzehnten bin ich auf der Suche nach der perfekten Frisur, aber weder Bob noch Kurzhaarschnitt, weder mühsam mit Föhn und Bürste geglättete lange Haare noch verwegen luftgetrocknete Wellen haben sich als dauerhafte Lösungen erwiesen. Während andere Frauen morgens aufstehen und keinerlei Spuren der Nacht in ihrem dichten, gut geschnittenen Haar erkennen lassen (oder es, falls doch, rasch ohne hinzuschauen zu einem entzückenden Pferdeschwanz oder Dutt knoten), stehe ich morgens auf und sehe aus, als hätte ich mit Mütze auf dem Kopf geschlafen, unter der ein hyperaktiver Vogel nistet. Während andere Langzeitreisende sich Gedanken über Wasserversorgung, Fahrzeugsicherheit und Reifenprofil machen, habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich da draußen in der Wildnis leben soll, ohne nach zwei Tagen auszusehen wie ein Huhn in der Mauser. Die Lösung: kein Spiegel. Und Kopftücher.

Das funktioniert so weit ganz gut, aber nach sechs Monaten unterwegs komme auch ich nicht mehr um einen Friseurbesuch herum. Den schiebe ich schon seit Wochen vor mir her (abgesehen davon, dass die Friseure hier ohnehin die meiste Zeit über geschlossen waren). Denn während ich unerschrocken Essen online in einer Sprache bestelle, die ich nicht beherrsche oder mich mit der nur gebrochen Englisch sprechenden Küstenwachenbeamtin über rechtlich heikle Fragen zu Fährfahrten unter Corona-Bedingungen austausche, in dem Wissen, dass uns jedes unbedachte Wort in Schwierigkeiten bringen könnte, fürchte ich hier, dass Sprachhürden mich über Wochen gesellschaftsunfähig machen könnten. Man muss dazu wissen: Selbst in meiner Muttersprache und in einem Salon, in dem das Personal ebendiese beherrscht, fällt es mir schwer, zu erklären, was genau mit meiner Frisur passieren soll. Was vor allem daran liegt, dass ich das selbst nicht so genau weiß und seit 47 Jahren auf den Stylisten warte, der das Potenzial in meinen Haaren endlich erkennt und es flugs zur Traumfrisur onduliert.

Seit Montag haben hier die Friseure wieder geöffnet, und am Dienstag auf dem Weg zum Supermarkt laufen wir an einem Salon vorbei, der seine Dienstleistungen im Schaufenster sowohl in Griechisch als auch in Englisch anpreist. In einem Anfall von Wagemut marschiere ich hinein und mache einen Termin für Freitag. „Also colour?“, fragt die Dame mit raschem Blick auf meine grauen Strähnen. Ich lehne souverän ab, ich stehe zu meinen grauen Haaren, jawoll! Kaufe später im Supermarkt dann doch heimlich eine Schachtel Tönung, soll ja keiner sagen, ich würde mich vernachlässigen, bloß weil wir in der Wildnis leben! Verbringe den Rest der Woche in latenter Unruhe, werfe mehrmals am Tag einen Blick in den Badezimmerspiegel und denke: „Och, geht doch eigentlich noch.“ Bekämpfe aber den Impuls, den Termin wieder abzusagen, und betrete gestern tapfer den schicken Salon.

Drinnen duftet es nach all den wundersamen Substanzen, mit denen Coiffeure das Maximum aus dem Haar ihren Kundinnen herauskitzeln. Und wie befürchtet, haben alle vier Kundinnen, die schon vor den Spiegeln sitzen, genau die Kategorie Haare, nach denen ich mich erfolglos verzehre: lang, dick, wandelbar. Mit zahllosen Klammern sind ihre immensen Haarmengen hochgesteckt, damit die ebenfalls perfekt frisierten Friseurinnen an die Partie herankommen, an der sie gerade schneiden. Meine eigenen Wellen verlieren angesichts dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit den letzten Rest Haltung und sinken kraftlos in sich zusammen. Eine dunkelhaarige Friseurin begleitet mich zum Waschbecken – ich bin hier auf jeden Fall nicht diejenige, an die sie massenhaft Shampoo verschwenden müssen! Und dann kommt der Moment, in dem ich erklären soll, was ich will. Aber ich bin vorbereitet! Habe Ausschnittsvergrößerungen von zwei Fotos gemacht, die im September auf unserer Abschiedsparty entstanden sind. Da war der letzte Friseurbesuch gerade zwei Wochen her, auch da war ich nicht euphorisch angesichts des Ergebnisses, aber es würde mir für heute genügen, wenn sie das repliziert bekämen.

Die Chefin persönlich übernimmt und fängt an zu schneiden. Während sie bei der Kundin neben mir, die da schon saß, als ich den Laden betrat, gerade bei Haarpartie 17 von 73 sind, habe ich genau drei Spangen in den Haaren, und nach acht Minuten ist die Chefin fertig mit Schneiden. Um meinen Stuhl herum liegen ein paar traurige Fusseln, weniger, als die Dame neben mir mit einem Schnitt verliert. Ich bekomme einen Spiegel in die Hand und werde aufgefordert, meine neue Frisur von hinten zu betrachten. Hm. Habe ich einen Hinterkopf? Alles sieht flach aus. Ich frage nach Stufen. Sind schon drin, sagt die Chefin. Tja, mehr kann man dann wohl nicht machen. Eine dritte Friseurin übernimmt: Sie ist die Föhn-Frau. Besprüht meinen Schopf mit einer Substanz, knetet dann eine weitere hinein und beginnt mit einem riesigen Diffuser an mir herumzuföhnen. Zwei weitere Substanzen und 15 Minuten später (lächerlich: trocken waren die Haare nach 30 Sekunden, den Rest der Zeit hat die Föhn-Frau darauf verwandt, irgendwie sowas wie Volumen und Form hineinzukriegen) rührt sich kein Haar mehr auf meinem Kopf, alles ist bombenfest betoniert und ich rieche wie eine Parfumabteilung in der Vorweihnachtszeit. „Good?“ Ich nicke tapfer und plane innerlich schon den unverzüglichen Gang unter die Dusche, sobald ich wieder zuhause bin. Die Frau neben mir ist inzwischen auch geföhnt: Ihre Mähne hängt nun glatt, dick und seidig über ihren Rücken. Mit gesenktem Blick gehe ich zur Kasse, die Chefin läuft hinter mir her, kürzt noch schnell eine der zementierten Strähnen um einen Millimeter, wuschelt mir mit einem dicken, weichen Pinsel über den Nacken und gibt mir so das Gefühl, ein kostbares Kunstwerk zu sein, das noch rasch mit letzter Hand zur Perfektion gebracht wurde. Ich zahle 20 Euro – in Deutschland hätten sie mir dafür nicht mal die Haare gewaschen – und trete erschöpft in den strahlenden Sonnenschein vor dem Salon. Meine Haare und ich, wir stehen auf dem Kriegsfuß miteinander.

Nachher…

8 Kommentare

  1. Es ist super geworden! Und btw sehen diese Wellen die du da am Oberkopf hast aus wie perfekte Wasserwellen aus den 20ern. Das ist mit langen schweren Haaren ne echte Challenge.
    Drück dich!

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