Der Sturm beginnt gegen halb vier Uhr morgens. Er wirft sich wütend gegen Mr. Norris, der schaukelt, als würden wir über eine Offroad-Piste rasen. Wir stehen die zweite Nacht neben der Kapelle des Propheten Elias auf dem Gipfel eines Berges südlich von Leonidio mit Blick über das Myrtoische Meer. Schon als wir vorgestern Abend ankamen, wehte dort oben eine steife Brise wie an der Nordsee im November – aber es ist so wunderbar einsam und die Aussicht so spektakulär, dass wir beschließen zu bleiben. Den Bus so neben einem Busch parken, dass er uns beim Kochen Windschatten spendet und uns nach dem Essen nach drinnen verkrümeln und die neue Gemütlichkeit auf Lounge-Polstern und Kissen genießen. Wir sind glücklich. Seit drei Tagen leben wir wieder im Bus, die ersten beiden Nächte haben wir hoch oben im Taygetos-Gebirge im Schatten des Profitis Ilias, dem höchsten Berg des Peleponnes, gestanden. Nicht weit weg von unserem Haus in Mystras auf einem perfekter Stellplatz: einsam und mit großartigen Blick auf die verschneiten Berggipfel. Kaum sind wir dort angekommen, beginnt Nico, Feuerholz zu sammeln – so schnell wollen wir die liebgewonnenen Abende am Kamin nicht hergeben (und wozu fahren wir schließlich eine faltbare Feuerschale mit uns herum)? Zwei Tage vertrödeln wir auf dem kleinen Plateau, der Plan ist eigentlich, den knapp 2.500 Meter hohen Gipfel des Profitis Ilias zu besteigen. Oder zumindest zu schauen, wie weit hinauf wir kommen – Januar ist für uns Amateure nicht gerade Saison zum Bergwandern oberhalb von 2.000 Metern … Aber jeden Morgen wachen wir in dichtem Nebel auf und können kaum den Weg unterhalb unseres Stellplatzes erkennen, geschweige denn den Profitis Ilias. Bei so einem Wetter wagen wir keine Experimente. Mittags reißt der Himmel auf und es wird angenehm warm, Nico hackt ein weiteres Mal Holz, ich sitze in der Sonne und tue nichts (okay, ich helfe beim Holzschleppen. Aber davor und danach tue ich nichts).
Am dritten Tag beschließen wir, die Gipfeltour aufs Frühjahr zu verschieben und Richtung Meer aufzubrechen. 23 Grad und Sonnenschein als Prognose für Sonntag sind ein verdammt gutes Argument. Wir nehmen den längeren Weg durchs Taygetos-Gebirge, der Nebel verschleiert allerdings mögliche Fernsichten. Schön ist es trotzdem. Dann queren wir die von sanften Hügeln gewellte Ebene Richtung Osten und Parnon-Gebirge auf schmalen, Platanen-gesäumten Straßen, rechts und links davon grüne Sträucher, Eichen und die allgegenwärtigen Olivenbäume. Je weiter wir ins Parnon-Gebirge (das nicht so hoch und schneebedeckt ist, wie der Taygetos) vordringen, desto einsamer und karger wird es. Gut für uns: Überqueren wir doch einmal mehr unerlaubter Weise eine Regionalgrenze, dieses Mal die von Lakonien nach Arkadien. Merkt zum Glück niemand – und so kommen wir unbehelligt an der Kapelle des Propheten Elias an. Den Platz hat Nico auf der Karte nach Kriterien ausgemacht, die sich für uns bisher als hilfreich erwiesen haben: Am Ende einer Sackgasse, hoch oben, keine Wohngebäude in der Nähe. Und er hat direkt einen Volltreffer gelandet! Naja, außer dass es da oben stürmt wie verrückt.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, hat sich der Wind etwas gelegt und wir trinken in der Sonne Kaffee, räumen und kramen und lassen den Morgen in gemächlichem Tempo verstreichen (das ist auch nach inzwischen fast vier Monaten auf Reisen nach wie vor mein größtes Glück: morgens keinen Zeitdruck zu haben). Und fahren dann runter Richtung Bucht, auf die wir die ganze Zeit von oben geschaut haben. Finden zwar nicht, wie gehofft, einen Stellplatz (überall „Camping verboten „-Schilder), dafür aber einen stillen Kieselstrand, an dem wir drei herrliche Stunden in der Sonne faulenzen und essen und lesen. Im Januar! Bei 23 Grad! Als wir gegen Abend wieder oben bei der Kapelle ankommen, weht erneut ein frischer Wind. Wir überlegen kurz, ob wir einen anderen Platz für die Nacht suchen, entscheiden uns dann aber dagegen. Es wird schon bald dunkel, wir haben Hunger und sooo schlimm ist der Wind schließlich auch nicht. Stimmt soweit. Bis er heute Nacht zu Sturmstärke aufdreht. Uns durchrüttelt, uns den Schlaf stiehlt und uns gegen halb acht sehr übellaunig aus dem Bett kriechen lässt. Aufbruch ohne Kaffee – das ist nix für uns. Aber an Kaffeekochen ist nicht zu denken bei dem Wind (Pinkeln hingegen ist unumgänglich – wohl dem, der eine gute Beckenbodenmuskulatur hat bei Windstärke 7…).
Müde fahren wir nach Leonidio hinein (wir müssen einkaufen) und schauen uns unterwegs ein paar mögliche Stellplätze an, die Nico auf der Karte ausgemacht hat. Kein Treffer. Auch weiter unten im Hinterland und in dem kleinen Ort Leonidio stürmt es, dass sich die Büsche biegen, der Wind zerrt an unserer Kleidung und unseren Nerven. Einem alten Mann reißt es draußen vor dem kleinen Supermarkt den Einkaufswagen aus der Hand, Staub wirbelt in großen Wolken umher. Mir weht es beim Verstauen der Lebensmittel die Autotür ins Kreuz, meine Laune ist im Keller. Wir fahren zurück Richtung unseres alten Schlafplatzes, biegen aber ein paar Kilometer vorher ab, um einen weiteren Feldweg, der in einem toten Ende mündet, auf Stellplatzqualitäten zu begutachten.
Hier sitzen wir nun, mitten am Tag, etwas abseits des Weges, umgeben von übermannshohen, stacheligen Büschen, die kaum Schutz vor dem Wind bieten, der inzwischen von allen Seiten zu kommen scheint. Es sind sommerliche 21 Graf draußen und die Sonne strahlt, aber wir hocken im Bus. Ich denke an die stürmischen Tage in Frankreich – und bin froh, dass es wenigstens nicht regnet und wir nicht frieren müssen. Hoffentlich legt sich der Wind heute noch – sonst steht uns eine weitere wackelige Nacht bevor. Ob ich zurück in unser Haus in Mystras möchte? Auf keinen Fall! Ich bin glücklich, endlich wieder unterwegs zu sein! Und wir haben noch Weihnachtsplätzchen und eine angebrochene Flasche Rotwein übrig…