Tag 3 des Lock-Downs. Draußen ist es bereits dunkel, durch das geöffnete Fenster strömt laute griechische Musik herein, und ich höre die Jungs aus dem Haus gegenüber Fußball spielen. Zwei Mal am Tag scheucht ihre Mutter sie auf die schmale, wenig befahrene Straße, damit sie sich austoben können. Sie lachen und kreischen und kicken den Ball wieder und wieder gegen die Hauswand. Fröhliche Geräusche, die kein bisschen nerven. Die Hühner aus dem Nachbargarten da schon eher: Den ganzen Tag über hören wir ihr Gackern und Gurren, wenn wir auf unserer Terrasse sitzen. Aber was soll’s, Hauptsache da ist Leben um uns, und eigentlich sind die Hühner eher amüsant mit ihren ulkigen Geräuschen, die irgendwo zwischen Besorgnis und Empörung pendeln und immer dann besonders aufgeregt werden, wenn eine der zahllosen Katze aus dem Viertel sich etwas zu nah an ihnen vorbei schleicht.
Bisher können wir uns nicht beklagen: Unser Apartment hat alles, was wir brauchen, der Kühlschrank ist voll, die Terrasse groß und die Sonne scheint jeden Tag aus einem makellos blauen Himmel und treibt das Thermometer auf 20 bis 22 Grad. Auch das mit den SMS-Zertifikaten läuft reibungslos. Wir haben eine zweite griechische Sim-Karte gekauft, da das Verfahren nur mit einer griechischen Nummer funktioniert – und bekommen nun beide im Handumdrehen Antwort, wenn wir per Knopfdruck über eine dafür vorgesehene App einen der sechs Gründe angeben, aus denen man hier zurzeit vor die Tür darf. Die erste SMS mussten wir uns im Mini-Markt nebenan übersetzen lassen, weil unser Google-Übersetzer das irgendwie nicht gepackt hat (dafür hat er gestern Abend tadellos die Online-Speisekarte einer griechischen Lieferdienst-App übersetzt, und wir haben 35 Minuten später voller Stolz die erste Essenslieferung seit dem. „Burscheider Grill“ entgegen genommen – und es war sogar genau das, was wir bestellen wollten!). Wie genau die Regierung über die Zertifikate die Bewegungen der Bürger steuern will, hat sich uns noch nicht erschlossen: Weder ist das Zertifikat mit einer zeitlichen Begrenzung versehen, noch muss man irgendetwas nachweisen, um es zu bekommen. Es wird auf unsere SMS hin wenige Sekunden später einfach automatisch in Form eines Zweizeilers an uns zugestellt. Egal. Wir sind froh, dass wir jeden Tag vor die Tür können und nutzen das bisher v.a. für ausgedehnte Stadtspaziergänge – und um die lokale Gastronomie mit dem Konsum von Coffe to go und handgemachter Eiscreme zu unterstützen.
Als wir am Freitag in Kalamata ankamen, waren die Einschränkungen noch nicht gültig – einen halben Tag haben wir und die anderen Menschen da noch bis zum Beginn des Lock-Downs. Und während wir aus Deutschland schon wieder Fotos von leergekauften Klopapier-Regalen geschickt bekommen und meine Freundin Simone mich interessiert fragt, was denn die Griechen so horten, können wir hier kaum glauben, dass ab morgen alles dicht macht. Die Griechen bleiben tiefenentspannt. Keine Hamsterkäufe, keine Schlangen vor den Supermärkten, keine geplünderten Regale (auch nicht die Ouzo-Regale oder was man sonst noch an Klischee-Einkäufen hätte spekulieren können), keine Endzeitstimmung. Dafür am Abend reges Treiben in den Restaurants und Bars in der Altstadt. Auf dem Weg nach Kalamata haben wir gelesen, dass die Stadt für Touristen eher Durchgangsstation ist: weder besonders reich an Geschichte noch an Top-Stränden. Die Seite, auf der wir das lasen, warb für einen längeren Aufenthalt – und pries u.a. das vibrierende Nachtleben von Kalamata. Aber wie fancy kann das schon sein in einer 75.000-Einwohner-Stadt? Denken wir – und werden eines besseren belehrt! Eine schicke Bar neben der nächsten, mit Aufwand und Liebe zum Detail durchdesignt. Haufenweise junge und nicht mehr ganz so junge Leute draußen davor, die sich noch einmal auf einen Drink treffen, bevor das ab morgen nicht mehr möglich ist. Wir setzen uns vor der „Baroque Bar“ (die für ihre umfassende Rum-Auswahl gefeiert wird und in der wir – völlig ahnungslos in Sachen Rum aber mit professioneller Kennermiene – einen Diplomatic Reserva und einen El Dorado 12 Años bestellen) auf einen Hocker in sicherem Abstand zum nächsten Tisch und beobachten fasziniert das Treiben. Seit März waren wir nicht mehr aus, ich hatte ganz vergessen, wie es aussieht, dieses Spiel der Nacht, bei dem hübsch herausgeputzte junge Frauen und Männer miteinander lachen, flirten und trinken. Und obwohl das der letzte Abend für mehr als drei Wochen ist, an dem sie dieses Spiel spielen können, ist auch jetzt die Stimmung entspannt und – das bewundern wir besonders – korrekt: Wer nicht sitzt, trägt Maske, begrüßt wird mit Ellenbogen-Check oder Schulterklopfen. Wir sitzen und schauen, bis es uns irgendwann zu kalt wird, dann wandern wir heim und fragen uns, wie das alles wird im Lock-Down.
Entspannt. So viel wissen wir jetzt. Unaufgeregt. Draußen herrscht keine Totenstille, aber auch kein übermäßiger Betrieb. Das mag in Athen oder Thessaloniki anders aussehen, da sind die Fallzahlen soweit wir wissen um ein Vielfaches höher als in Kalamata, das bis vor ein paar Tagen den Status „grün “ hatte und den Lock-Down im Zuge des nationalen „Mitgefangen, Mitgehangen“ mitmachen muss. Aber wir sind froh darüber – bis jetzt scheint es uns eine gute Entscheidung, hierher gekommen zu sein.