Wir sind die ersten an der Fähre! Das habe selbst ich mit meiner berüchtigten Überpünktlichkeit noch nicht geschafft. Zur empfohlenen Zeit, zwei Stunden vor Abfahrt, rollen wir in den Hafen von Cagliari ein und werden von zwei sehr freundlichen Grimaldi Lines-Mitarbeitern quasi mit Handschlag begrüßt: „Ah, Thomaier“, flötet die Dame und hakt uns flugs von der Liste ab, die offenbar sehr kurz ist, so schnell wie sie uns findet. Als wir vor vier Wochen von Toulon nach Sardinien übergesetzt sind, hatten wir das komplette Kontrastprogramm: lange Fahrzeugschlangen, Dutzende Mitarbeiter mit noch längeren Passagierlisten unter dem Arm, Formular-Stress wegen Corona. Heute entschuldigt sich die Mitarbeiterin, dass sie das Formular nur auf Italienisch hat und hilft uns beim Ausfüllen. Nach fünf Minuten stehen wir vor der Fähre, um uns herum gähnende Leere – wären da nicht die beiden Mitarbeiter gewesen, die uns so zielsicher auf der Liste gefunden haben, wir würden glauben, wir wären falsch. Nur ein anderer Camper rollt hinter uns in den Hafen. Wir werden nach ein paar Minuten Wartens vor der Auffahrrampe der „Venezia“ von einem der Einweiser persönlich gebeten, nun auf Deck 3 zu fahren – üblich sind sonst an den Fähren eher hektisches Winken, lautes Brüllen und wildes Armgeschwinge, dem man versucht zu entnehmen, wo genau die Crew einen hinhaben will. Bevor wir den Bus unter Deck einparken dürfen, misst ein steinalter Arzt mit müden Augen unsere Temperatur – Corona ist auch in Italien mit voller Wucht zurück.
Wir verfolgen die Entwicklungen natürlich mit der gebotenen Aufmerksamkeit, zuhause ebenso wie in unserem Gastland. Fast 15.000 Neuinfektionen gestern in Deutschland, habe ich heute morgen bei Spiegel Online gelesen. Fast 20.000 in Italien, informiert uns Nicos Mama vorhin besorgt. Ein guter Zeitpunkt, um das Land zu verlassen. Seit etwa zehn Tagen überlegen wir hin und her, wie und wohin wir unsere Reise fortsetzen sollen. In Italien gehen die Menschen nach allem, was wir bisher mitbekommen haben, sehr diszipliniert mit den Corona-Maßnahmen um: Jeder trägt Maske, auch auf der Straße und im Auto. Es ist wenig los auf Plätzen oder in Cafés, das Italien, das wir von früheren Reisen kennen und in dem sich das Leben der Menschen in weiten Teilen draußen abspielt, in dem sie vor der Tür oder in den Läden miteinander schwatzen und in lauten, fröhlichen Gruppen in Bars und Pizzerien sitzen, ist weitestgehend unsichtbar. Liegt es am Saisonende oder an Corona? Wir wissen es nicht, aber es fühlt sich seltsam an und ist vielleicht mit ein Grund, weswegen wir auch nach vier Wochen immer noch kein richtiges Gefühl für diese Insel und die Lebensart der Leute hier bekommen haben. Und mit ein Grund, weswegen wir uns entscheiden, den November nicht wie mal angedacht auf Sizilien zu verbringen, sondern direkt nach Griechenland weiter zu reisen. Und zwar jetzt. Irgendwie haben wir das Gefühl, unser Glück nicht überstrapazieren zu wollen und Italien besser zu verlassen, bevor am Ende noch ein zweiter Lock-Down kommt und wir dann keine Wahl mehr haben. Wir informieren uns täglich über den wirklichen guten und umfassenden Dienst des Auswärtigen Amts, dort gibt es bisher keine Hinweise auf einen erneuten Lock-Down. Aber wer weiß?
Nun sitzen wir also in unserer Kabine auf der „Venezia“ – auch hierhin wurden wir persönlich von einem Mitarbeiter begleitet, nachdem sein Kollege an der Rezeption uns die Key Cards für die Kabine ausgehändigt hatte – neben unseren lagen noch für genau vier weitere Kabinen Karten vor ihm. Es lebe die Nachsaison! Und über Social Distancing müssen wir uns bei solchen Passagierzahlen auch keine Gedanken machen. Morgen Nachmittag kommen wir in Salerno südlich von Neapel an, von da werden wir direkt weiter einmal quer über den Stiefel nach Brindisi fahren und dort Montagmittag auf die Fähre nach Igoumenitsa gehen.
Auch wenn der Einstieg in unsere große Reise alles andere als ein Selbstläufer war und wir gefühlt nicht viel gesehen haben von der Insel (oder zumindest ich meinen Fokus manchmal mehr auf meinem inneren Karussel hatte als auf der Schönheit um mich herum): Sardinien war gut zu uns. Gerade in den letzten sieben Tagen hat das Wetter uns für den einen oder anderen stürmischen, feuchten und kalten Tag mehr als entschädigt, und die Pause in Arbus hat Nico und mir gut getan. Die letzte Nacht auf Sardinien haben wir an einem kleinen, wilden Strand auf der Halbinsel Sant’Antioco verbracht – ein schöner Abschluss. Ciao, Sardegna, e mille grazie per tutti!