Aus dem geplanten Ruhetag wird nichts. Morgens um fünf beginnt der Sturm an unserem Bus zu rütteln, gestern Abend, als wir ins Bett gingen, deutete noch nichts auf einen Wetterwechsel hin. Für Nico und mich wird es nur ein bisschen ruckelig im Bus, für Linda indes, die unter freiem Himmel biwakiert, dürfte es deutlich ungemütlicher sein. Wir rechnen damit, dass sie entweder gleich an unserem Fenster vorbeifliegt oder an unsere Tür klopft und sich nach drinnen flüchtet. Keins von beidem passiert. Gegen 8 Uhr verbiege ich mich im Innern des Busses und baue unser Bett zurück, damit wir hier auch zu dritt Zuflucht finden können. Nico schaut nach Linda – und kommt grinsend zurück: Sie liegt offenbar fröhlich in ihrem Biwaksack und hat sich vom Wind nicht groß stören lassen. Das Mädchen ist echt unverwüstlich. Nico kocht Kaffee gegen den Wind, Linda baut ihr Biwak ab und verstaut alles im Bus. Die beiden anderen Fahrzeuge, die mit uns die Nacht auf dem Hügel verbracht haben, reisen ab. Wir feiern: Der Premiumplatz mit bester Aussicht aufs Meer ist damit frei geworden, wir beschließen, den Tag hier oben zu verbringen trotz des Windes, und unser Camp so aufzustellen, dass wir möglichst windgeschützt sind.
Eine halbe Stunde lang räumen wir unser Zeug hin und her, manövrieren den Bus so, dass er maximalen Windschatten bietet, und bauen Tisch und Stühle auf, um zu Frühstücken – und dann fährt plötzlich ein Polizeiwagen auf das kleine Plateau. Zwei Beamte steigen aus und erklären uns auf Italienisch, dass auf dem gesamten Italienischen Staatsgebiet Campen verboten ist. Zeigen vorwurfsvoll auf Tisch, Stühle, unseren Gaskocher und den Wasserhahn, der mit einem Magnet draußen am Bus festgemacht ist – alles verboten. Für heute belassen sie es bei einer Verwarnung und 50 Euro Strafe pro Person, erfahren wir mit Hilfe des Google Übersetzers (leider sprechen wir immer noch kein Italienisch und sie kein Englisch). Wenn wir noch mal beim Campen erwischt werden, wird es ernst.
Na toll. Gerade zwei Wochen unterwegs – mit einem Reise- und Finanzkonzept, das zu 90% auf Wildcampen basiert – und schon Ärger mit den Behörden. Obwohl wir mehr als vorbildlich unterwegs sind und unser Lager jedes Mal ohne eine Spur von uns verlassen, manchmal sogar Müll mitnehmen, den andere dort zurückgelassen haben. Was tun? Meine Laune wird tiefschwarz. Müssen wir jetzt jede Nacht auf den Campingplatz oder dürfen draußen nie mehr Tisch und Stühle aufbauen und kochen, wenn wir frei stehen? Geht in der Wildnis übernachten ab jetzt nur noch mit gehetztem Blick in alle Richtungen und dem Ohr immer auf Habacht, um jedes nahende Fahrzeug zu hören und schnell unsere Habseligkeiten zusammen zu raffen, sobald sich jemand nähert? Viereinhalb Wochen sind wir letztes Jahr durch Italien, Griechenland, Albanien, Montenegro gereist und haben dort frei gestanden, zehn Tage jetzt in Frankreich, ohne dass sich jemand an uns gestört hätte. Die nächsten Wochen möchten wir definitiv in Italien bleiben – und haben schon eine Verwarnung auf dem Kerbholz. Stehen wir jetzt auf einer schwarzen Camperliste?
Nico, der sonst eher der Bedenkenträger ist, wenn es um Konflikte mit Regeln und Offiziellen geht, bleibt entspannt. Er meint, nur weil unsere Personalien aufgenommen wurden, heißt das ja nicht, dass gleich die gesamte italienische Poizei unsere Daten hat: Sobald wir im nächsten Polizeibezirk unterwegs sind, seien wir keine Wiederholungstäter mehr, so seine Theorie. Ich habe noch keine Meinung dazu und muss das erst mal sacken lassen – wir beschließen, zumindest für heute auf der legalen Seite zu bleiben und suchen uns einen offiziellen Stellplatz nahe der Schlucht von Gorropu, in der wir morgen wandern wollen.
So, und jetzt holen wir dann auch mal das Frühstück nach, das uns heute Vormittag so unvermittelt verwehrt wurde. Danach sieht die Welt vielleicht schon wieder ein bisschen freundlicher aus und es wird möglicherweise doch noch ein Ruhetag?